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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0155
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Stellenkommentar JGB 11, KSA 5, S. 24 135

thetische Urtheile a priori eigen seien und dass deren kritische Untersuchung
das ganze Geschäft seiner Transcendentalphilosophie ausmache. Im Erkennt-
nissvermögen bestehen die apriorischen Synthesen in einer Reihe von Urthei-
len, welche ohne formal-logische Verknüpfung die Grundbegriffe unserer Welt-
auffassung in nothwendiger und allgemeingültiger Weise mit einander verbin-
den. Auf dem Gebiete des Begehrungsvermögens bestehen die apriorischen
Synthesen darin, dass gewissen Willensbethätigungen die moralischen Prädi-
kate gut oder böse in nothwendiger und allgemeingültiger Weise zugesprochen
werden: die praktischen Synthesen a priori sind Werthbeurtheilungen von all-
gemeiner und nothwendiger Geltung. Auf dem Gebiete des Empfindungsver-
mögens bestehen die synthetischen Urtheile a priori darin, dass es gewissen
Gegenständen gegenüber allgemeingültige und nothwendige Gefühle der Lust
oder Unlust gibt, welche sich durch die Prädikate der Schönheit oder Hässlich-
keit, der Zweckmässigkeit oder Unzweckmässigkeit zu erkennen geben: die a
priorischen Synthesen des Gefühlsvermögens sind, a potiori benannt, die äs-
thetischen Urtheile. Hienach gliedert sich die kritische Philosophie in die drei
Haupttheile einer Kritik der theoretischen, der praktischen und der ästheti-
schen synthetischen Urtheile a priori, und das ganze Kantische System in seine
theoretische, praktische und ästhetische Lehre.“ (Windelband 1880, 2, 53 f.)
Salaquarda 1985, 36 f. verweist darauf, dass Lange in der Geschichte des
Materialismus (Anm. 21 zum 1. Abschnitt des 2. Buchs) von „unserer Organisati-
on“ handelt, wo Kant in der Kritik der reinen Vernunft von Denk- oder Erkennt-
nisvermögen sprach. Lange „zielte damit nicht auf eine Psychologisierung oder
gar auf eine Biologisierung der apriorischen Strukturen, besonders der Katego-
rien ab, im Gegenteil: es war ihm um eine Kritk an allen psychologischen,
besser: empirisch-psychologischen Kantinterpretationen zu tun. Während die-
se nämlich die Kategorien als je besondere Fähigkeiten oder Vermögen auffaß-
ten, die als solche die Ursache für bestimmte Erkenntnisleistungen seien, hielt
Lange ganz im Sinne Kants daran fest, daß sie nur die »objektiv gedachte Mög-
lichkeit dieser bestimmten Tätigkeit4 bezeichneten. Zwar habe sich, so Lange,
Kant ziemlich unvorsichtig der Terminologie der sogenanten Vermögenspsy-
chologie bedient, aber er habe etwas anderes im Blick gehabt. Nietzsche ist
bedauerlicherweise in diesem Punkt seinem Gewährsmann nicht gefolgt.“ (Sa-
laquarda 1985, 37). Dass N. Lange nicht gefolgt sei, belegt Salaquarda mit der
in JGB 11 artikulierten Kritik am Vermögen eines Vermögens - N. habe Kant
hier missverstanden, Lange hingegen habe dies nicht getan (Salaquarda 1985,
37). Hörisch 2012, 35 hingegen argumentiert, die Kant-Kritik in JGB 11 habe ihre
Pointe darin, dass sie „an den Doppelsinn des Wortes »Vermögen4“ erinnere,
also auch auf Vermögen als akkumuliertes (geistiges) Kapital anspiele. Zur In-
terpretation der Kant-Kritik in JGB 11 vgl. ferner Torres Filho 1987, 25-54 sowie
Gentili 2013, 111-113 u. 116.
 
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