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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0157
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Stellenkommentar JGB 11, KSA 5, S. 24-25 137

lieh sein wird, wie es z. B. stets die Idee eines Weltreichs für den danach Stre-
benden gewesen ist.“ (Meyer 1885-1892, 13, 184) Stichwortgebend waren in
Deutschland unter dem Eindruck der gescheiterten Revolution von 1848 die
fünf Jahre später erschienenen Grundsätze der Realpolitik (1853) von Ludwig
August von Rochau.
25, 2-10 Es kam der Honigmond der deutschen Philosophie; alle jungen Theolo-
gen des Tübinger Stifts giengen alsbald in die Büsche, — alle suchten nach „Ver-
mögen“. Und was fand man nicht Alles — in jener unschuldigen, reichen, noch
jugendlichen Zeit des deutschen Geistes, in welche die Romantik, die boshafte
Fee, hineinblies, hineinsang, damals, als man „finden“ und „erfinden“ noch nicht
auseinander zu halten wusste! Vor Allem ein Vermögen für’s „Übersinnliche“]
Der Ausdruck „Honigmond“ - ein Synonym für „Honigmonat“ - bezeichnet
die erste, unbeschwerte Zeit der Ehe, die Flitterwochen und ist schon bei Goe-
the belegt (Grimm 1854-1971, 10, 1790), bei N. nur hier.
Das Tübinger Stift als Brutstätte einer theologisch kontaminierten deut-
schen Philosophie kehrt wieder in AC 10, KSA 6,176,17-19. Das der Theologen-
Ausbildung gewidmete Evangelische Stift Tübingen zählte u. a. Hegel, Hölder-
lin, Schelling, Ferdinand Christian Baur, Friedrich Theodor Vischer, David
Friedrich Strauß und Eduard Zeller zu seinen Absolventen. Schon NL 1884,
KSA 11, 25[3O3], 88, 13 f. stellt fest, dass „die deutsche Philosophie [...] nach
dem Tübinger Stift riecht“; in dem oben zitierten „Anti-Kant“ aus NL 1885,
KSA 11, 34[82], 445 (entspricht KGW IX 1, N VII1, 143f.) wird die Formulierung
aus 25, 2-10 vorweggenommen.
Trotz der in N.s Werken gelegentlich zu findenden Polemik gegen die als
restaurativ empfundene Romantik (vgl. z. B. FW 370, KSA 3, 619-622) hat die
Forschung spätestens seit Karl Joels einschlägiger Monographie (Joel 1905) die
formalen und inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen N. und der Frühro-
mantik namentlich Friedrich Schlegels (dazu z. B. Ernst Behler 1978, Ernst Beh-
ler 1979 u. Petersdorff 2004 sowie NK KSA 1, 145, 31-146, 2) herausgearbeitet
und gezeigt, dass N.s Abgrenzungsbedürfnis gerade in der Fülle der Überein-
stimmungen begründet gewesen sein dürfte.
Kant hatte durchaus schon einen Begriff des „Übersinnlichen“ als derjeni-
gen Sphäre, die sinnlich-empirischer Anschauung verschlossen bleibt, wäh-
rend man doch - im Hinblick auf die Postulate der praktischen Vernunft - eine
übersinnlich-intellektuelle Anschauung annehmen müsse, so dass er in der
Kritik der Urtheilskraft (§ 26) folgerte: „Das gegebene Unendliche aber dennoch
ohne Widerspruch auch nur denken zu können, dazu wird ein Vermögen, das
selbst übersinnlich ist, im menschlichen Gemüthe erfordert.“ (AA V, 254) Kon-
kret wird es dann im Aufsatz Verkündigung des nahen Abschlusses eines Trac-
tats zum ewigen Frieden in der Philosophie: „Von den übersinnlichen Gegen-
 
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