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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0167
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Stellenkommentar JGB 12, KSA 5, S. 26 147

willkürliche, sondern für jedes denkende Wesen eine nothwendige, sowie auch
ein jedes solches Wesen jedes andere nur als Körper anschauen kann, weil es
seine Empfindungen nach Zeit und Raum konstruiren muss.“ (Schmitz-Du-
mont 1881, 165) Schmitz-Dumont machte also im Unterschied zu Spir geltend,
dass wir zur Fiktion des Atomismus durch die Struktur unseres Bewusstseins
gezwungen seien und darüber nicht beliebig disponieren können. Derlei Denk-
notwendigkeiten propagiert JGB 12 wiederum nicht, sondern depotenziert den
Atomismus zu einer heuristischen Bequemlichkeit im Verständigungsprozess
über die Wirklichkeit.
Dass Schmitz-Dumont für N. eine wichtige Referenzgröße in Sachen Ato-
mismus war, belegt schließlich auch das einschlägige Kapitel bei Nägeli 1884,
603-612, das zwischen „physischer“ und „metaphysischer Atomistik“ scharf
unterscheidet. Dort notierte N. den Namen „Schmitz-Dumont“ an den Rand,
wo Nägeli, ohne einen Namen zu nennen, über die Anziehung von Atomen
spricht (ebd., 606). Gori 2014,133 f. versucht schließlich, einen Bezug der Wen-
dung gegen die „materialistische Atomistik“ bei N. auf Ernst Mach zu plausibi-
lisieren.
An der Diskussion des Atomismus in JGB 12 nahm Heinrich Köselitz’
Freund Paul Heinrich Widemann Anstoß, dessen Buch Erkennen und Sein
(1885) N. in JGB gelegentlich verwertet hatte. Er habe, schrieb Widemann an
Köselitz am 18. 08.1886, in JGB „die erkenntnißtheoretischen Aphorismen ge-
lesen [...] mit außerordentlicher Enttäuschung u. großer Mißbefriedigung:
Glänzend, aber taube Nüsse! Die Grundbegriffe dieser Wissenschaft (Materie,
Ursache, Bedingung, Gesetz etc etc etc) sind bei N. gar nicht wiederzuerken-
nen. Sie sind bei ihm wie Gallerte; faßt man sie an, so laufen sie Einem durch
die Finger und nach allen Richtungen aus- und durcheinander. Dabei eine
krummbeinige Logik, sehr schlechtes Wissen um Weg und Steg, große Vermen-
gung des Rationalen mit ethischen und ästhetischen Dingen, Mangel an Ausge-
gohrenheit und statt ruhigen Schreitens ein ganz schändliches Springen und
Tänzeln, das nirgends weniger angebracht ist, als bei dieser schwierigsten und
feinsten aller Wissenschaften, bei der ein einziger Fehlschluß sofort das Ganze
in Frage stellen kann. (Auch sieht Tanzen mit krummen Beinen sehr schlecht
aus.)“ (KGB III 7/2, Nr. 37, S. 500) Als erstes Beispiel wird dann JGB 12 herange-
zogen: „1. Leugnung der Materie, weil die Atomlehre zweifelhaft ist. Materie
ist weiter gar nichts, als das Daseiende (gleichviel was es an sich ist) in Betreff
seiner räumlichen Ausgedehntheit. Die Materie leugnen, heißt die räumliche
Ausgedehntheit der Gegenstände leugnen. Was die Materie an sich ist, ist frei-
lich eine offene Frage; aber sie zu leugnen, ist ein offenbarer Unsinn, phiso-
phelnde [sic!] Firlefanzerei: Ich habe die Frage, was Materie sei, damit beant-
wortet, daß ich das was man als das Qualitative der Dinge begreift, als das
 
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