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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0186
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166 Jenseits von Gut und Böse

für die Wahrnehmung der Außenwelt hatte sich N. schließlich schon in Julius
Bergmanns (von N. allerdings bereits 1875 verkauften) Grundlinien einer Theo-
rie des Bewusstseins aneignen können: „Wie es sich auch mit dem gemeiniglich
angenommenen geheimnissvollen Uebergang der Aussenwelt in’s Bewusstsein
durch die Sinne, welche als leibliche Organe selbst der Aussenwelt und als
Organe der Seele der Innenwelt des Bewusstseins angehören sollen, und mit
der Rückbeziehung des auf diese Weise in’s Bewusstsein Eingetretenen auf ein
Ausserhalb des Bewusstseins verhalten möge: wir finden in allen auf die Aus-
senwelt bezogenen Wahrnehmungen ein letztes Element, welches an sich nicht
mehr bewusstes ist.“ (Bergmann 1870, 33) „Die entgegengesetzte Ansicht, der
man allerdings häufig genug begegnet, beruht wohl auf einer Verwechselung
des Begriffes der Aussenwelt mit demjenigen der Ursache unserer Sinneserre-
gungen. Zur Aussenwelt ist nämlich auch der eigene Leib zu rechnen, und dass
alle Sinnesempfindungen in ihrer Wahrnehmung mindestens auf die entspre-
chenden Organe, also auf das leibliche Dasein bezogen werden, scheint uns
unzweifelhaft.“ (Ebd., 36) Besonders einschlägig dürften für die Überlegungen
in JGB 15 aber die antirealistischen Bemerkungen bei Otto Schmitz-Dumont
sein, denen zufolge Außenwelterkenntnis „von unserer speziellen Organisati-
on“ bedingt wird: „Die Erkenntniss, dass die Eigenschaften der Dinge von der
Art unserer Sinne abhängen, dass sie bei anders konstruirten Sinnesorganen
ganz andere sein würden, ist zwar schon allgemein geworden. Nichtsdestowe-
niger glaubt der Realismus in seiner Anschauung von den Dingen und deren
Eigenschaften eine ziemlich richtige Anschauung von der realen Wahrheit der
Dinge zu besitzen, ebenso wie der Theologe, welcher eine sog. göttliche Offen-
barung schwarz auf weiss besitzt und seinen Verstandeskräften gemäss aus-
legt. [...] Aber die Formen der Dinge sind ebenso abhängig von der Art unserer
Sinne, wie die Eigenschaften der Dinge.“ (Schmitz-Dumont 1881, 161. N.s Un-
terstreichungen, mehrfache Randstriche von seiner Hand.) Einen ironischen
Gebrauch vom Gedanken der „causa sui“, wonach etwas Ursache seiner selbst
ist, macht in ähnlichem Zusammenhang wie JGB 15 schließlich Liebmann 1880,
337 im polemischen Anschluss an: „nur vom Organismus stammt der formglei-
che Organismus. Der Organismus ist Bedingung seiner selbst: Causa sui.“ (N.s
Unterstreichungen) Zur causa sui siehe NK 35, 10-20.
Der erste Teil von JGB 15 erklärt einen (statt als dogmatische Position ver-
fochtenen) als vorläufige, forschungs- und frageleitende „Hypothese“ depoten-
zierten „Sensualismus“ zur Voraussetzung physiologischer Arbeit. Da die „phy-
siologischen Arbeiter“ im eben vorangegangenen Abschnitt JGB 14 mit ironi-
scher Distanz behandelt worden waren (vgl. NK 28, 26-29, 3), wird der Leser
zögern, den in JGB 15 Sprechenden mit dem Anliegen „Physiologie“ umstands-
los zu identifizieren. Im Unterschied zur Vorstufe benennt die definitive Versi-
 
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