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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0188
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168 Jenseits von Gut und Böse

gen, für das Produkt der „Organe“, sondern die „Aussenwelt“ selbst, so ver-
strickt man sich in den Widerspruch, dass man einen Teil der „Aussenwelt“,
eben die Organe, zur Ursache ihrer selbst macht. Im Vergleich zur ersten Nach-
lassfassung nach KGW VII 4/2, 356 findet in der Druckfassung eine erhebliche
Verschärfung statt, wurde dort doch noch nicht die These auf ihren absurden
Kern zurückgeführt, dass die Außenwelt das „Werk unsrer Organe“ sei. Statt-
dessen wurde die „reductio ad absurdum“, die Rückführung auf die widersin-
nige Implikation des Arguments noch mit der schwächeren Annahme der Ab-
hängigkeit versucht: In dieser Version denkt man die Außenwelt zunächst als
abhängig von den Organen, sodann unseren Leib als abhängig von den Orga-
nen, daher schließlich die Organe abhängig von den Organen. Diese Folgerung
wird als absurd verworfen und dagegen behauptet: „folglich ist die Außenwelt
nicht abhängig von unseren Organen“. Da aber ungeklärt bleibt, was hier „Ab-
hängigkeit“ bedeutet, ist ungewiss, ob die „reductio ad absurdum“ hier über-
haupt greift, denn die Abhängigkeit der Organe voneinander scheint zunächst
keine widersinnige, sondern vielmehr eine plausible Annahme zu sein. Mit der
Verschärfung in Richtung einer kausalen Verursachung („Werk unsrer Orga-
ne“) und der ironischen Implementierung der metaphysisch-theologischen
Idee der Selbstursächlichkeit (Gott gilt traditionell als causa sui) gelingt diese
„reductio ad absurdum“ jedenfalls überzeugender.
Die systematische Bedeutung von JGB 15 wird in der systematisch interes-
sierten Forschung systematisch überschätzt: Wer banditischen Schindluder mit
N. treiben will, findet in diesem Abschnitt offensichtlich reichlich Nahrung.
Dennoch sind Radius und Erklärungsanspruch von JGB 15 eng begrenzt und
erlauben es nicht, N. auf eine feste Position des Sensualismus oder gar des
Naturalismus zu verpflichten (zur amerikanischen Phantom-Debatte um N.s
angeblichen Naturalismus einschlägig Dellinger 2012c u. 2015, 25-29), denn die
Option für den Sensualismus macht nicht nur die Einschränkung der Regulati-
vität und der Hypothetizität geltend, sondern steht unter einer oft schlicht
übersehenen Bedingung: Dass „man“ überhaupt als Physiologe sprechen will.
Das tun einige Texte N.s, aber beileibe nicht alle - es ist nur eine seiner zahlrei-
chen Sprech- und Denkweisen.
29,14 gründliche reductio] Im Drucksatz der Erstausgabe stand ursprünglich:
„genügende reductio“ (Nietzsche 1886, 19). Die Korrektur erfolgte dort durch
die „Berichtigungen“ auf der unpaginierten letzten Seite (ebd., 272).
16.
Desillusionierten die unmittelbar vorangegangenen Abschnitte sowohl naive
idealistische als auch naive empiristisch-sensualistische Erkenntnisansprüche,
 
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