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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0189
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Stellenkommentar JGB 16, KSA 5, S. 29 169

so wird jetzt der Intuitionismus und Apriorismus sowohl in seiner rationalisti-
schen („ich denke“ als „umittelbare Gewissheit“: Descartes und Kant) als auch
in seiner voluntaristischen Variante („ich will“ als „unmittelbare Gewissheit“:
Schopenhauer) der peinlichen Befragung unterzogen - mit erwartungsgemäß
verheerendem Ausgang. Bemerkenswert ist, dass in JGB 16 „der Philosoph“ (29,
29; 30,16; 30, 26 u. 30, 27) durchweg eine gute Figur macht und nicht als Hüter
des Vorurteils „umittelbarer Gewissheit“ auftritt, sondern vielmehr als dessen
ironisch-distanzierter Gegner. Diejenigen hingegen, die diesem Vorurteil in sei-
nen verschiedenen Varianten anhängen, werden nur im Falle Schopenhauers
(29, 20) namhaft gemacht, sonst aber mit dem „Volk“ (29, 28 u. 30, 15) assozi-
iert, das angeblich den Glauben an „Erkennen“ als „zu Ende-Kennen“ (29, 28 f.)
sowie an die „unmittelbare Gewissheit“ (30, 14 f.) aufrecht erhält. Die Pointe
besteht darin, dem „Volk“, damit der ungebildeten Masse jene Propositionen
zuzuschreiben, auf die traditionelle Philosophen exklusiv-elitären Anspruch zu
haben glaubten, als Zeichen ihrer privilegierten Erkenntnis. Unter „Volk“ wer-
den implizit jene Philosophen verstanden, die den Glauben an die unmittelba-
re Ich-Gewissheit kolportiert haben - unter N.s Lektüren insbesondere Gustav
Teichmüller. JGB 17 akzentuiert dann die Kritik am Ich in der cartesischen cogi-
to-Formel, die JGB 54 noch einmal aufgreift. Im Nachlass von 1885 liefern eini-
ge Aufzeichnungen, die sich an Überlegungen bei Drossbach 1884, Schmitz-
Dumont 1881, Spir 1877 und Teichmüller 1882 orientieren, wesentliches Materi-
al für diese Abschnitte (NL 1885, KSA 11, 40[20]-40[25], 637-641, entspricht
KGWIX 4, W 17, 68 f. u. 66 f. u. 64). Zur Ich-Kritik bei Hume und Schopenhauer
als entfernte Verwandte des Ansatzes in JGB 16 u. 17 siehe Emden 2005, 118-
123. Nach Röllin 2013, 50 stammt die Reinschrift von JGB 16 im Druckmanu-
skript von JGB von Louise Röder-Wiederholds Hand und wurde bereits im Juni
1885 angefertigt.
29,18 f. Es giebt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche glauben, dass
es „unmittelbare Gewissheiten“ gebe] Dass „Selbstbeobachtung“, mit der Rene
Descartes im Discours de la methode sowie in den Meditationes de prima philo-
sophia seinen Weg zu der angeblich unbedingt gewissen Erkenntnis des cogito
ergo sum beschrieben hat, häufig in die Irre führe, wird schon in MA I 491,
KSA 2, 318 f. moniert (vgl. auch MA II VM 223, KSA 2, 477, 2-4; FW 335, KSA 3,
560, 16-26 u. NL 1885, KSA 12, 2[103], 112, entspricht KGW IX 5, W I 8, 119).
Entsprechend erscheint der Selbstbeobachter nur im besten Fall „harmlos“,
häufiger als (Selbst-)Täuschender.
In NL 1885, KSA 11, 40[30], 644, 18-28 (entspricht KGW IX 4, W I 7, 61) hat
N. notiert: „Die große Gefahr steckt in der Annahme, daß es unmittelbares
Erkennen gäbe (also „Erkennen“ im strengen Sinn überhaupt!) Teichm(ülleü
p. 35.“ Die entsprechende Seite in Gustav Teichmüllers Die wirkliche und die
 
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