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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0191
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Stellenkommentar JGB 16, KSA 5, S. 29 171

nicht als Schluß, sondern als unmittelbare Gewißheit [...] zu verstehen sei“
(Fischer 1865, 1, 497). Direkt dürfte die Polemik in JGB 16 aber gegen Afrikan
Spir gerichtet gewesen sein, der ,,[a]ls selbstverständlich“ voraussetzt, „dass
das Ziel der Philosophie, wie dasjenige einer jeden Wissenschaft, die Gewiss-
heit ist“ (Spir 1877, 1, 25). Spir gibt sich zunächst ganz cartesianisch, wenn er
behauptet, dass „die unmittelbare Beseitigung alles Zweifels, oder mit anderen
Worten, die unmittelbare Gewissheit nur in dem angetroffen werden kann, was
die Vorstellungen selbst (das Cogito), unabhängig von ihrer Beziehung auf Ge-
genstände bieten. Der Descartes' sehe Satz Cogito, ergo sum muss, allgemein
und präcis ausgedrückt, so lauten: / Alles, was ich in meinem Bewusstsein
vorfinde, ist als blosse Thatsache des Bewusstseins unmittelbar gewiss.“ (Ebd.,
27) Mit einem Randstrich versehen hat N. dann Spirs Feststellung: „Es war
eine ewig ruhmvolle That Descartes’, dass er zuerst mit Entschiedenheit die
Forderung ausgesprochen hat, die Philosophie, welche diesen Namen verdient,
müsse mit dem Anfang, d. h. mit dem unmittelbar Gewissen anfangen, und
dass er mit richtiger Intuition in dem Inhalte unseres Bewusstseins selbst das
unmittelbar Gewisse factischer Natur entdeckt hat.“ (Ebd., 28) Descartes hätte
freilich nur einen ersten Anfang gemacht, während Spir selbst eine „zweifache
unmittelbare Gewissheit“ postulierte, „welche einerseits die Thatsachen des
Bewusstseins selbst und andrerseits das Grundgesetz des Denkens bieten“
(ebd., 31).
29, 19-21 zum Beispiel „ich denke“, oder, wie es der Aberglaube Schopen-
hauers war, „ich will“] Die erste Fassung seines Grundgedankens formulierte
Descartes im 4. Teil des Discours de la methode (1637): „ie pense donc ie suis“
(Descartes 1902, 6, 32). Schopenhauer bot in der Preisschrift über die Freiheit
des Willens als „unmittelbare Gewissheit“ an: ,„was ich will kann ich thun,
und ich will was ich will4“ (Schopenhauer 1873-1874, 4/2, 20, vgl. 22. Vgl. auch
NK 54, 19-26). Neocartesianische Selbstvergewisserungsversuche kannte N.
aus seinen Lektüren zur Genüge, etwa von Gustav Teichmüller: „unseres eige-
nen Seins allein sind wir uns unmittelbar bewusst und grade dieses
Wissen von uns selbst und von unseren Thätigkeiten und ih-
rem Inhalt ist alles, was wir unter Sein verstehen, und es
giebt keine andere Quelle der Erkenntniss für diesen Begriff“
(Teichmüller 1882, 73).
29, 24-28 Dass aber „unmittelbare Gewissheit“, ebenso wie „absolute Erkennt-
niss“ und „Ding an sich“, eine contradictio in adjecto in sich schliesst, werde ich
hundertmal wiederholen: man sollte sich doch endlich von der Verführung der
Worte losmachen!] Die „contradictio in adjecto“ (vgl. NK 230, 9f.), der Wider-
spruch im Beiwort, liegt darin, dass nach einem perspektivischen Verständnis
 
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