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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0209
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Stellenkommentar JGB 19, KSA 5, S. 32 189

Gemeinwesen begiebt, dass die regierende Klasse sich mit den Erfolgen des Ge-
meinwesens identificirt. Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Be-
fehlen und Gehorchen] Die Lust-Konzeption, die hier zugrunde liegt, erinnert
an Überlegungen, die sich N. bei Guyau markiert hat: Dieser unterscheidet
zwei Formen der Lust („plaisir“); die erste sei rein sinnlich und passiv, die
zweite hingegen aktiv und im Handeln selbst begründet: „On n’agit pas tou-
jours en vue de pour suivre un plaisir particulier, determine et exterieur ä l’acti-
on meme; parfois on agit pour le plaisir d’agir, on vit pour vivre, on pense
pour penser. II y a en nous de la force accumulee qui demande ä se depenser;
quand la /14/ depense en est entravee par quelque obstacle, cette force devient
desir ou aversion; quand le desir est satisfait, il y a plaisir [...]. / On a cru
longtemps que 1’Organe creait la fonction, on a cru aussi que le plaisir creait
la fonction: ,1’etre va, disait Epicure, oü l’appelle son plaisir;4 ce sont lä,
d’apres la Science moderne, deux verites incompletes et melees d’erreurs; ä
l’origine, l’etre ne possedait point un organe tout fait; de meme, il n’avait pas,
en quelque Sorte, un plaisir tout fait; lui-meme, en agissant, a fait son organe
et fait son plaisir. Le plaisir, comme l’organe, procede de la fonction. Plus tard,
d’ailleurs, comme l’organe meme, il reagit sur la fonction; on finit par agir de
teile maniere parce qu’on a un organe developpe dans tel sens et qu’on eprou-
ve un plaisir en allant dans teile direction. Mais le plaisir n’est pas premier; ce
qui est premier et dernier, c’est la fonction, c’est la vie.“ (Guyau 1885, 13 f.
„Man handelt nicht immer in der Absicht, ein besonderes, klar zu bestimmen-
des und außerhalb des Handelns befindliches Lustgefühl zu erstreben; oft han-
delt man, um der Lust am Handeln willen, man lebt, um zu leben, man denkt,
um zu denken. In uns schlummert aufgespeicherte Kraft, die sich ausgeben
will; wenn dieses Ausgeben durch ein Hindernis gehemmt ist, so wird diese
Kraft Sehnsucht und oft sogar unerträglicher Druck. Wenn die Sehnsucht ge-
stillt wird, empfinden wir Lust [...]. / Lange Zeit hat man geglaubt, daß das
Organ die Funktion schüfe, man glaubte auch, daß die Lust die Tat erzeugte:
,Die Geschöpfe gehen dahin4, sagt Epikur,,wohin die Lust sie ruft.4 Vom Stand-
punkte moderner Wissenschaft aus sind in diesem Satze zwei unvollkommene
und mit Irrtümern gemischte Wahrheiten enthalten. Ursprünglich besaß kein
Geschöpf ein fertig gebildetes Organ; ebensowenig strebte es nach einem klar
erkannten Lustzustand. Während es lebte, sich betätigte, schuf es sich sein
Organ und seine Lust. Die Lust sowohl wie das Organ entstammen also der
Funktion. Später wirken beide auf die Funktion zurück; man kommt schließ-
lich dahin, in bestimmter Richtung zu wirken, weil man ein in bestimmter Wei-
se entwickeltes Organ hat und weil man Lust dabei empfindet. Aber die Lust
ist nicht das Ursprüngliche. Das Erste und das Letzte ist die Funktion, ist das
Leben.44 Guyau 1909, 106 f. N.s Marginalien auf diesen beiden Seiten - „gut!44,
 
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