188 Jenseits von Gut und Böse
jene unbedingte Werthschätzung „jetzt thut dies und nichts Anderes Noth“, jene
innere Gewissheit darüber, dass gehorcht werden wird, und was Alles noch zum
Zustande des Befehlenden gehört. Ein Mensch, der will —, befiehlt einem Etwas
in sich, das gehorcht oder von dem er glaubt, dass es gehorcht.] Die Pointe der
Willensanalyse von JGB 19 besteht nicht nur darin, dass sie den Willen als
Pluralität versteht, sondern auch und vor allem darin, dass sie den Eindruck
einer Einheit des Wollens auf die soziale Struktur von Befehl und Gehorsam
zurückführt, also eine Metapher als Modell anbietet, um die Funktionsweise
des Willens zu verstehen (siehe dazu auch Tongeren 2000, 81 f.). Diese Meta-
pher besitzt einige Verführungskraft, aber letztlich bleibt es bei der bloßen Be-
hauptung, dass Wollen nach diesem Muster funktioniere - Bemühungen um
eine Plausibilisierung oder um einen Beweis bleiben aus. Unterstellt wird, das
Verhältnis von Befehl und Gehorsam sei ein quasi naturgegebenes Verhältnis,
das sich auf allen Ebenen des Lebendigen wiederhole, damit eben auch auf
der Ebene des Wollens.
32, 31-33, 32 Nun aber beachte man, was das Wunderlichste am Willen ist, —
an diesem so vielfachen Dinge, für welches das Volk nur Ein Wort hat: insofern
wir im gegebenen Falle zugleich die Befehlenden und Gehorchenden sind, und
als Gehorchende die Gefühle des Zwingens, Drängens, Drückens, Widerstehens,
Bewegens kennen, welche sofort nach dem Akte des Willens zu beginnen pflegen;
insofern wir andererseits die Gewohnheit haben, uns über diese Zweiheit vermöge
des synthetischen Begriffs „ich“ hinwegzusetzen, hinwegzutäuschen, hat sich an
das Wollen noch eine ganze Kette von irrthümlichen Schlüssen und folglich von
falschen Werthschätzungen des Willens selbst angehängt, — dergestalt, dass der
Wollende mit gutem Glauben glaubt, Wollen genüge zur Aktion. Weil in den
allermeisten Fällen nur gewollt worden ist, wo auch die Wirkung des Befehls,
also der Gehorsam, also die Aktion erwartet werden durfte, so hat sich der
Anschein in das Gefühl übersetzt, als ob es da eine Nothwendigkeit von
Wirkung gäbe; genug, der Wollende glaubt, mit einem ziemlichen Grad von
Sicherheit, dass Wille und Aktion irgendwie Eins seien —, er rechnet das Gelin-
gen, die Ausführung des Wollens noch dem Willen selbst zu und geniesst dabei
einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt. „Frei-
heit des Willens“ — das ist das Wort für jenen vielfachen Lust-Zustand des Wol-
lenden, der befiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als Eins setzt, —
der als solcher den Triumph über Widerstände mit geniesst, aber bei sich urtheilt,
sein Wille selbst sei es, der eigentlich die Widerstände überwinde. Der Wollende
nimmt dergestalt die Lustgefühle der ausführenden, erfolgreichen Werkzeuge, der
dienstbaren „Unterwillen“ oder Unter-Seelen — unser Leib ist ja nur ein Gesell-
schaftsbau vieler Seelen — zu seinem Lustgefühle als Befehlender hinzu. L’effet
c’est moi: es begiebt sich hier, was sich in jedem gut gebauten und glücklichen
jene unbedingte Werthschätzung „jetzt thut dies und nichts Anderes Noth“, jene
innere Gewissheit darüber, dass gehorcht werden wird, und was Alles noch zum
Zustande des Befehlenden gehört. Ein Mensch, der will —, befiehlt einem Etwas
in sich, das gehorcht oder von dem er glaubt, dass es gehorcht.] Die Pointe der
Willensanalyse von JGB 19 besteht nicht nur darin, dass sie den Willen als
Pluralität versteht, sondern auch und vor allem darin, dass sie den Eindruck
einer Einheit des Wollens auf die soziale Struktur von Befehl und Gehorsam
zurückführt, also eine Metapher als Modell anbietet, um die Funktionsweise
des Willens zu verstehen (siehe dazu auch Tongeren 2000, 81 f.). Diese Meta-
pher besitzt einige Verführungskraft, aber letztlich bleibt es bei der bloßen Be-
hauptung, dass Wollen nach diesem Muster funktioniere - Bemühungen um
eine Plausibilisierung oder um einen Beweis bleiben aus. Unterstellt wird, das
Verhältnis von Befehl und Gehorsam sei ein quasi naturgegebenes Verhältnis,
das sich auf allen Ebenen des Lebendigen wiederhole, damit eben auch auf
der Ebene des Wollens.
32, 31-33, 32 Nun aber beachte man, was das Wunderlichste am Willen ist, —
an diesem so vielfachen Dinge, für welches das Volk nur Ein Wort hat: insofern
wir im gegebenen Falle zugleich die Befehlenden und Gehorchenden sind, und
als Gehorchende die Gefühle des Zwingens, Drängens, Drückens, Widerstehens,
Bewegens kennen, welche sofort nach dem Akte des Willens zu beginnen pflegen;
insofern wir andererseits die Gewohnheit haben, uns über diese Zweiheit vermöge
des synthetischen Begriffs „ich“ hinwegzusetzen, hinwegzutäuschen, hat sich an
das Wollen noch eine ganze Kette von irrthümlichen Schlüssen und folglich von
falschen Werthschätzungen des Willens selbst angehängt, — dergestalt, dass der
Wollende mit gutem Glauben glaubt, Wollen genüge zur Aktion. Weil in den
allermeisten Fällen nur gewollt worden ist, wo auch die Wirkung des Befehls,
also der Gehorsam, also die Aktion erwartet werden durfte, so hat sich der
Anschein in das Gefühl übersetzt, als ob es da eine Nothwendigkeit von
Wirkung gäbe; genug, der Wollende glaubt, mit einem ziemlichen Grad von
Sicherheit, dass Wille und Aktion irgendwie Eins seien —, er rechnet das Gelin-
gen, die Ausführung des Wollens noch dem Willen selbst zu und geniesst dabei
einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt. „Frei-
heit des Willens“ — das ist das Wort für jenen vielfachen Lust-Zustand des Wol-
lenden, der befiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als Eins setzt, —
der als solcher den Triumph über Widerstände mit geniesst, aber bei sich urtheilt,
sein Wille selbst sei es, der eigentlich die Widerstände überwinde. Der Wollende
nimmt dergestalt die Lustgefühle der ausführenden, erfolgreichen Werkzeuge, der
dienstbaren „Unterwillen“ oder Unter-Seelen — unser Leib ist ja nur ein Gesell-
schaftsbau vieler Seelen — zu seinem Lustgefühle als Befehlender hinzu. L’effet
c’est moi: es begiebt sich hier, was sich in jedem gut gebauten und glücklichen