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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0220
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200 Jenseits von Gut und Böse

verstehen, wonach die Philosophie von ihrem jeweiligen Sprachhintergrund
abhängig ist: Galt dort für den indogermanischen Raum die Hypostasierung
des Subjekts zu einer distinkten Entität als Beispiel eines sprachinduzierten
Fehlschlusses, ist es nun die Rede von einem freien oder unfreien Willen - so,
als ob dieser Wille eine distinkte Entität wäre. Dass der Wille auch sachlich
keine Einheit sein kann, sollte ja bereits JGB 19 aufdecken. Zusammengedacht
finden sich die Stränge der Kritik am Subjekt, am Willen und an der Kausalität
bereits in NL 1885-1886, KSA 12, 2[78], 98, 25-99, 2 (entspricht KGW IX 5, W I
8, 135, 23-33): „Das Prädikat drückt eine Wirkung aus, die auf uns hervorge-
bracht ist (oder werden könnte) nicht das Wirken an sich; die Summe der
Prädikate wird in Ein Wort zusammengefaßt. Irrthum, daß das Subjekt causa
sei. — Mythologie des Subjekt-Begriffs, (der „Blitz“ leuchtet — Verdoppelung —
die Wirkung verdinglicht. / Mythologie des Causalitäts-Begriffs. Trennung
von ,Wirken4 und »Wirkendem4 grundfalsch.“
Gegen die „Verdinglichung“ von Ursache und Wirkung hat in der zeitge-
nössischen Diskussion ausdrücklich Wilhelm Wundt in seiner Logik Stellung
bezogen. Zwar kann nicht nachgewiesen werden, dass N. dieses Werk gelesen
hat; immerhin aber ließ er Wundt ein Freiexemplar der Genealogie der Moral
zukommen (N. an Constantin Georg Naumann, 08.11.1887, KSB 8/KGB III/5,
Nr. 946, S. 188, Z. 72). Wundt, der übrigens auch die „causa sui im Gebiet der
empirischen Causalbeziehungen [für] schlechthin unfruchtbar“ hielt (Wundt
1880, 1, 527), merkt an: „Die gemeine Bedeutung des Wortes Ursache ist theils
noch mit der ursprünglichen Verdinglichung dieses Begriffes behaftet, theils
greift sie mit einer gewissen Willkür aus einem verwickelten Causalzusammen-
hang einzelne, oft nebensächliche Momente heraus. Vor jener Verdinglichung
hütet sich auch der wissenschaftliche Sprachgebrauch nicht immer.“ (Ebd.,
536) Wundt kommt zum Schluss: „Nun sind wir davon ausgegangen, dass we-
der die Ursache noch die Wirkung als Dinge, sondern dass beide als Vor-
gänge aufgefasst werden müssen, da wir ohne dies niemals zur Bildung des
Causalbegriffs oder zu seiner Anwendung irgend einen Anlass hätten. In der
That wirkt bei jenen ontologischen Versuchen, die Erscheinungsform der Cau-
salität aus dem Causalbegriff zu deduciren, immer noch die falsche Verdingli-
chung des letzteren nach: bald soll die Ursache als beharrendes Object neben
ihren Wirkungen fortdauern, bald soll sie als handelnde Substanz eben diesen
Wirkungen vorangehen. Sind nun aber Ursache und Wirkung beide zeitliche
Ereignisse, so kann das Causalgesetz die ihm etwa zukommende Zeitbestim-
mung nicht etwa aus dem Verhältniss der Begriffe Ursache und Wirkung, son-
dern einzig und allein aus denjenigen Bedingungen empfangen, welche der
zeitliche Zusammenhang der Ereignisse mit sich führt.“ (Ebd., 541) Während
Wundt sehr wohl am Konzept der Kausalität festhält, suspendiert JGB 21 es
 
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