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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0228
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208 Jenseits von Gut und Böse

Metapher in den geheimen Motivationshintergrund für die Annahme universel-
ler Naturgesetze. Die von N. bei Liebmann mit einem Nota bene quittierte Äu-
ßerung würde damit den eigentlichen ideologischen Bodensatz aller Naturge-
setz-Annahmen freilegen, eben „die pöbelmännische Feindschaft gegen alles
Bevorrechtete und Selbstherrliche“.
37, 13-16 insgleichen ein zweiter und feinerer Atheismus verkleidet liegt. „Ni
dieu, ni maitre“ — so wollt auch ihr’s: und darum „hoch das Naturgesetz“! —
nicht wahr?] Die Feinheit dieses „Atheismus“ liegt darin, dass er die Leugnung
Gottes nicht auszusprechen braucht, sondern sich auf die naturgesetzliche
Gleichheit zurückziehen kann. Die französische Formel „ni dieu ni maitre“
(„weder Gott noch Meister“) war der Titel einer 1880 und 1881 erschienenen,
von Louis Auguste Blanqui mitherausgegebenen Zeitschrift (Rahden 1999, 371).
Sie kehrt wieder in JGB 202, KSA 5, 125, 15 f. (vgl. auch Dellinger 2013b, 174,
Fn. 16) und wird in NL 1885, KSA 12, 1[226], 60 evoziert: „Wer kein Vergnügen
daran hat, Tölpel tanzen zu sehen, soll keine deutschen Bücher lesen. Ich sah
eben einen deutschen Tölpel tanzen: Eugen Dühring, nach dem Anarchisten-
Motto ,ni dieu, ni maitre“4 (in unredigierter Form in KGW IX 2, N VII 2, 12).
Tatsächlich zitiert Dühring in späteren Auflagen seiner Kritischen Geschichte
der Nationalökonomie und des Sozialismus dieses Motto von Blanqui, jedoch
noch nicht in der Ausgabe, die N. besessen hat (Dühring 1875b, später hinge-
gen: Dühring 1900, 558).
37, 16-33 Aber, wie gesagt, das ist Interpretation, nicht Text; und es könnte
Jemand kommen, der, mit der entgegengesetzten Absicht und Interpretations-
kunst, aus der gleichen Natur und im Hinblick auf die gleichen Erscheinungen,
gerade die tyrannisch-rücksichtenlose und unerbittliche Durchsetzung von
Machtansprüchen herauszulesen verstünde, — ein Interpret, der die Ausnahmslo-
sigkeit und Unbedingtheit in allem „Willen zur Macht“ dermaassen euch vor Au-
gen stellte, dass fast jedes Wort und selbst das Wort „Tyrannei“ schliesslich un-
brauchbar oder schon als schwächende und mildernde Metapher — als zu
menschlich — erschiene; und der dennoch damit endete, das Gleiche von dieser
Welt zu behaupten, was ihr behauptet, nämlich dass sie einen „nothwendigen“
und „berechenbaren“ Verlauf habe, aber nicht, weil Gesetze in ihr herrschen,
sondern weil absolut die Gesetze fehlen, und jede Macht in jedem Augenblicke
ihre letzte Consequenz zieht. Gesetzt, dass auch dies nur Interpretation ist — und
ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden? — nun, um so besser. —] Die
bereits in JGB 9 und JGB 13 benutzte Wendung „Wille zur Macht“ wird hier mit
hervorhebenden Anführungszeichen als die Gegenformel zu einer pazifizie-
rend-demokratischen Weitsicht empfohlen - wobei die Empfehlung jemandem
in den Mund gelegt wird, der erst „kommen“ „könnte“. Und diese unter hypo-
 
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