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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0240
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220 Jenseits von Gut und Böse

und ebenso ein Anrecht auf bestimmte Probleme, eine eingebrannte Abstempe-
lung derselben auf unseren Namen.“ Wie weit N. bei der Wahl des Granits als
exemplarisch hartem Stein auch der mineralogische Umstand vor Augen stand,
dass Granit ein Konglomerat aus verschiedenen Mineralien ist - „ein weitver-
breitetes gemengtes kristallinisches Gestein, aus Feldspat ([...]), Quarz und
Glimmer ([...]) bestehend“ (Meyer 1885-1892, 7, 616) -, sei dahingestellt. Immer-
hin passt dieser Umstand zu der genealogischen Erkenntnis, dass jeder angeb-
lich letzte „Grund“, mag er noch so „fest“ sein, nicht einfach, sondern zusam-
mengesetzt ist, das Produkt einer Entwicklung. Das „nunmehr“, das auch dem
„granitnen Grund“ einen zeitlichen Index gibt (wann ist „nunmehr“? wie kam
dieser „Grund“ zustande?), unterstützt eine solche Lesart.
41,18-22 Nicht als sein Gegensatz, sondern - als seine Verfeinerung! Mag näm-
lich auch die Sprache, hier wie anderwärts, nicht über ihre Plumpheit hinaus-
können undfortfahren, von Gegensätzen zu reden, wo es nur Grade und mancher-
lei Feinheit der Stufen giebt] Wenn der „Wille zum Wissen“ - auf ihn bezieht
sich das Possessivpronomen „sein“ (41, 18) - keinen „Gegensatz“ zum „Willen
zum Nicht-wissen“ darstellt, dann folgt daraus keineswegs, dass es in der
Wirklichkeit keinerlei Gegensätze gibt. Der erste Satz „Nicht als [...], sondern -
[...]“ bedient sich selber einer sprachlichen „Gegensatz-Logik“ (Endres 2013,
235). Zwar deuten manche Nachlassaufzeichnungen in die Richtung einer ge-
neralisierten Anti-Antagonistik: „Es giebt keine Gegensätze: nur von denen der
Logik her haben wir den Begriff des Gegensatzes — u von da aus fälschlich in
die Dinge übertragen.“ (NL 1887, KGW IX 6, W II 1, 74, 2-4) Aber in 41, 18-22
wird gerade diese radikale Schlussfolgerung nicht gezogen: Zwar wird geltend
gemacht, dass „die Sprache“ in ihrer (wirkungsvoll gegen die „Verfeine-
rung“ im vorhergehenden Satz gesetzten) „Plumpheit“ „hier wie anderwärts
[...] von Gegensätzen“ rede, „wo es nur Grade“ gebe. Daraus wird aber nicht
abgeleitet, dass überhaupt keine Gegensätze vorhanden wären. Der Satz besagt
nur - vorsichtig, selbst ein Zeugnis der „Feinheit“ -, dass Fälle auftreten mö-
gen, bei denen sprachlich ein Gegensatz vorgegaukelt wird, jedoch nicht, dass
die Existenz von Gegensätzen ontologisch unmöglich wäre. Die Wahl des Hilfs-
verbs „mag“ unterstreicht noch das Vorbehaltvolle, Tastende des Gedanken-
gangs.
Die Überlegung in 41,18-22 weist zurück auf eine Aufzeichnung von 1881:
„Sobald die Verfeinerung da ist, wird die frühere Stufe nicht mehr als Stufe,
sondern als Gegensatz gefühlt. Es ist leichter, Gegensätze zu denken, als
Grade.“ (NL 1881, KSA 9, 11[115], 482, 19f.) Auch an dieser Stelle wird nicht
behauptet, das menschliche Bewusstsein wäre gezwungen, mit „Gegensätzen“
statt „Graden“ zu operieren, aber doch, dass zwischen beidem ein Schwierig-
 
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