Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0241
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar JGB 24, KSA 5, S. 41 221

keitsgefälle besteht. Während 1881 die Schwierigkeit im Denken verortet wur-
de, wird in JGB 24 die Sprache zum Ort, an dem sie auftritt.
Bei der Reflexion darüber, ob Gegensätze real oder bloß sprachlich bedingt
sind, ist wiederum ein Bezug zu Bahnsen greifbar, der die unterschiedlichen
Formen von Gegensätzen ausgiebig behandelte und aus dem kontradiktori-
schen Gegensatz die Rechtfertigung seiner philosophischen Grundhaltung be-
zog: Es bleibe „dabei, dass Eines das volle contradictorische Gegentheil zum
Andern sein muss, und an dieser gegenseitigen Unaufhebbarkeit festhaltend
bekennt sich die Realdialektik eo ipso zu jenem absoluten Pessimismus, wel-
cher sein Fundament an dem unentrinnbaren Neben- und Ineinander-Fort-be-
stehen dieses contradictorischen Paares hat.“ (Bahnsen 1882,1, 189) Mit ande-
ren Worten ist der Glaube an die Ubiquität des Gegensätzlichen die Geschäfts-
grundlage des Pessimismus. Wenn JGB 24 nun einen Gutteil der Gegensätze in
den Verdacht bringt, bloße Sprachphantome zu sein, dann ließe sich dies auch
als bewusste Wendung gegen den Pessimismus verstehen. Allerdings verwahr-
te sich gerade Bahnsen dagegen, überall Kontradiktion am Werk zu sehen:
„Will sich die Realdialektik nach allen Seiten den Rücken decken, so muss sie
sich vorzugsweise hüten, nicht da einen contradictorischen Gegensatz heraus-
tüfteln zu wollen, wo nur das Urbild eines conträren vorliegt, nämlich die
Kehrseite eines identisch Einen“ (Bahnsen 1882, 1, 261).
41, 22-25 mag ebenfalls die eingefleischte Tartüfferie der Moral, welche jetzt zu
unserm unüberwindlichen „Fleisch und Blut“ gehört, uns Wissenden selbst die
Worte im Munde umdrehen] Zur Tartüfferie siehe NK 19, 14 f. Die mit Anfüh-
rungszeichen herausgehobene Formulierung „Fleisch und Blut“ ist biblischen
Ursprungs und kommt bei N. häufig vor; begegnen konnte er ihr in der von
ihm benutzten Luther-Übersetzung etwa in Genesis 37, TI (Die Bibel: Altes Tes-
tament 1818, 41); Jesus Sirach 17, 31 (Die Bibel: Altes Testament 1818, 971); Mat-
thäus 16, 17 (Die Bibel: Neues Testament 1818, 23); 1. Korinther 15, 50 (Die
Bibel: Neues Testament 1818, 213) und Galater 1, 16 (Die Bibel: Neues Testa-
ment 1818, 225). Besonders nahe kommt dem Gebrauch in JGB 24 die Überle-
gung in FW 143, dass mit dem Monotheismus sich „die Sittlichkeit der Sitte [...]
endgültig in Fleisch und Blut übersetzt“ habe. Im Polytheismus walte „die
Kraft“, „sich neue und eigene Augen zu schaffen“ (KSA 3, 491, 3-5), während
man sich die Augen nach JGB 24 neu einzusetzen habe (vgl. NK 41, 6 f.). Dass
man sich jenseits jener Moral stellen solle, die in „Fleisch und Blut“ überge-
gangen sei, fordert auch FW 380, KSA 3, 633, 8.
41, 26-42, 4 wie gerade noch die beste Wissenschaft uns am besten in dieser
verei nfa chten, durch und durch künstlichen, zurecht gedichteten, zurecht ge-
fälschten Welt festhalten will, wie sie unfreiwillig-willig den Irrthum liebt, weil
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften