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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0256
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236 Jenseits von Gut und Böse

sungen werden, machen diese eigenthümlichen Tonschattirungen auf ein un-
geübtes Ohr leicht den Eindruck unbeabsichtigten Detonirens. Das Tempo
wechselt häufig, und man unterscheidet drei Hauptarten desselben, die folgen-
de Sanskritnamen führen: gangäsrotogati, ,wie der Strom des Ganges dahinflie-
ßend4, d. h. presto; kürmagati, von der Gangart der Schildkröte, d.h. lento;
mandeikagati, ,von der Gangart des Frosches4, d.h. staccato.44 (Jolly 1884, 121)
N. war durchaus ein eifriger Leser von (allerdings vornehmlich französischen)
Zeitschriften und Zeitungen; in seiner Bibliothek hat sich ein Heft der Deut-
schen Rundschau von 1877 erhalten (NPB 671); im November oder Dezember
1884 scheint er nach einem entsprechenden Briefentwurf dem Herausgeber der
Deutschen Rundschau, Julius Rodenberg sogar eigene Gedichte zum Abdruck
angeboten zu haben (KSB 6/KGB III/l, Nr. 563, S. 567).
In N.s Lektüreprofil dieser Zeit passt jedoch auch der dritte Band der Biblio-
thek für moderne Völkerkunde von 1886. Dieser Band, der sich indes unter N.s
Büchern ebensowenig findet wie der fragliche Jahrgang der Deutschen Rund-
schau, trägt den Titel Grossbritannien und Irland. Mit besonderer Berücksichti-
gung der Kolonien; sein Autor firmiert als Heinrich Neelmeyer-Vukassowitsch.
Dort findet sich nach der Erörterung der Musik Irlands ein langer Passus über
die indische Musik, der Jollys Lesern sehr bekannt vorkommt und der in den
Worten gipfelt: „Bei den Gesängen, die leider mit Fistelstimme vorgetragen
werden, machen die eigenthümlichen Tonschattirungen auf ein ungeübtes Ohr
leicht den Eindruck unbeabsichtigten Detonirens. Das Tempo wechselt häufig,
und man unterscheidet 3 Hauptarten desselben, welche folgende Sanskritna-
men führen: Gangasrotogati, ,wie der Strom des Ganges dahinfliessend4, d. h.
presto; kürmagati, ,von der Gangart der Schildkröte4, d.h. lento, und mandei-
kagati, ,von der Gangart des Frosches4, d.h. staccato.“ (Neelmeyer-Vukasso-
witsch 1886, 841) Laut Untertitel ist Neelmeyer-Vukassowitschs Buch ,,[n]ach
eigenen Beobachtungen geschildert“, und doch handelt es sich hier zweifellos
um die nahezu identische Übernahme des Textes von Jolly aus der Deutschen
Rundschau, ohne dass dies im Text irgendwie kenntlich gemacht würde (oder
ist Neelmeyer-Vukassowitsch ein Pseudonym für Jolly?). Auch das recht um-
fangreiche Literaturverzeichnis führt Jollys Aufsatz nicht an, ja nicht einmal
die Deutsche Rundschau, obwohl zahlreiche andere Periodika namentlich ge-
nannt werden. Dafür, dass N.s Aufzeichnung und der Verwendung in JGB TI
nicht Jollys Original, sondern Neelmeyer-Vukassowitschs Plagiat (?) zugrunde
lag, könnte der Umstand sprechen, dass N. genau wie dieser die diakritischen
Zeichen in den Sanskritworten stillschweigend weglässt, obwohl die Zeichen
für die korrekte Transliteration eigentlich unerlässlich sind - was, wird man
hinzufügen, der klassische Philologe N. durchaus gewusst haben dürfte. Neel-
meyer-Vukassowitsch hat also bei (dem nach Lampl 1993, 301 auch bereits ak-
 
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