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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0259
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Stellenkommentar JGB 28, KSA 5, S. 46 239

Sokratismus und Jenseitsmetaphysik. Aristophanes hingegen löste die Schwere
in verklärender Heiterkeit auf.
Im Spätwerk bekundete N. wiederholt Hochschätzung für das nur partiell
überlieferte Romanwerk Satyricon des Titus Petronius Arbiter aus dem ersten
nachchristlichen Jahrhundert, das er insbesondere mit dem zeitgleich entstan-
denen Neuen Testament zu kontrastieren liebte, vgl. NK KSA 6, 224, 1-7 u. NK
KSA 6, 285, 4-286, 12. In JGB 193 wird er ebenfalls zitiert, vgl. NK 114, 18-21.
Die Zusammenschau von Petron und Aristophanes ist im Nachlass präludiert:
„Derbheit und Delikatesse zusammen bei Petronius, auch bei Horaz:
mir am angenehmsten. Es gehört zum griechischen Geschmack. Homer
war den Menschen um La Rochefoucauld herum zu derb, sie konnten das Trivi-
ale nicht genießen. Sie hielten eine gewisse hohe Empfindung bei sich fest, wie
jetzt viele Deutsche, und verachten sich, wenn etwa ein Genuß an niederen
Sphären in ihnen sich regt. Aristophanes ist das Gegenstück: nihil humani —
ist antik“ (NL 1885, KSA 11, 34[80], 444, 12-19, entspricht KGW IX 1, N VII 1,
146, 14-32).
46, 20-28 Alles Gravitätische, Schwerflüssige, Feierlich-Plumpe, alle langwieri-
gen und langweiligen Gattungen des Stils sind bei den Deutschen in überreicher
Mannichfaltigkeit entwickelt, — man vergebe mir die Thatsache, dass selbst Goe-
the’s Prosa, in ihrer Mischung von Steifheit und Zierlichkeit, keine Ausnahme
macht, als ein Spiegelbild der „alten guten Zeit“, zu der sie gehört, und als Aus-
druck des deutschen Geschmacks, zur Zeit, wo es noch einen „deutschen Ge-
schmack“ gab: der ein Rokoko-Geschmack war, in moribus et artibus.] N.s über-
aus zahlreiche Bezugnahmen auf Goethe sind, sofern sie wertend ausfallen,
meist positiv, mitunter sogar euphorisch positiv in der erkennbaren Absicht,
sich selbst mit dem Weimarer Dichterfürsten auf eine Stufe zu stellen, ja noch
eine Stufe darüber (vgl. GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 49-51, dazu NK 6/1,
S. 551-557). Die in JGB 28 artikulierte Stilkritik ist einer dezidierten Absetzungs-
bewegung im Interesse verstärkter Selbstprofilierung geschuldet; sie könnte
sich entzündet haben an der Lektüre von Adolf von Schölls Band Goethe in
Hauptzügen seines Lebens und Wirkens von 1882, den N. 1884 erworben hat.
46, 28 in moribus et artibus] Lateinisch: „in Sitten und Künsten“.
46, 28-47, 2 Lessing macht eine Ausnahme, Dank seiner Schauspieler-Natur,
die Vieles verstand und sich auf Vieles verstand: er, der nicht umsonst der Über-
setzer Bayle’s war und sich gerne in die Nähe Diderot’s und Voltaire’s, noch lie-
ber unter die römischen Lustspieldichter flüchtete: — Lessing liebte auch im tem-
po die Freigeisterei, die Flucht aus Deutschland.] Gotthold Ephraim Lessings
(1729-1781) Nähe zur französischen Literatur und sein Theater-Hintergrund
werden im Presto von N.s eigener Abkürzungsbemühung vorgetragen und in
 
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