242 Jenseits von Gut und Böse
geht, jenen verklärenden, complementären Geist, um dessentwillen man dem
ganzen Griechenthum verzeiht, dass es da war, gesetzt, dass man in aller
Tiefe begriffen hat, was da Alles der Verzeihung, der Verklärung bedarf] Vgl.
NK 46, 10-20.
47, 20-27 so wüsste ich nichts, was mich über Plato’s Verborgenheit und
Sphinx-Natur mehr hat träumen lassen als jenes glücklich erhaltene petit fait:
dass man unter dem Kopfkissen seines Sterbelagers keine „Bibel“ vorfand, nichts
Ägyptisches, Pythagoreisches, Platonisches, — sondern den Aristophanes. Wie
hätte auch ein Plato das Leben ausgehalten — ein griechisches Leben, zu dem er
Nein sagte, — ohne einen Aristophanes! —] In der zeitgenössischen altertums-
wissenschaftlichen Forschungsliteratur wurde die auf Olympiodor: Vita Plato-
nis 2, 22-27 (Ed. Didot 1850) zurückgehende Anekdote vom Aristophanes-Papy-
ros bei Platons Sterbebett gelegentlich bemüht (z. B. bei Schuster 1874, 611 u.
Richter 1886, 12. Aus Schusters Artikel hatte sich N. schon für Vorlesungen
bedient, vgl. die Nachweise bei Arenas-Dolz 2010a). N. dürfte die Geschichte
aber schon von seinem Griechischlehrer in Schulpforta, Karl Steinhart vermit-
telt worden sein. Die von Steinhart herausgegebene Platon-Ausgabe hat N. in
Basel mehrfach (oder permanent) aus der Universitätsbibliothek entliehen
(Crescenzi 1994, 412, 415, 424 u. 442, vgl. auch NK KSA 6, 67, 7-9). Als neunter
Band ist dieser Ausgabe Steinharts Monographie Platon’s Leben beigegeben -
von N. in Basel ebenfalls mehrfach entliehen (Crescenzi 1994,424,426 u. 441) -,
die berichtet, Platon habe die Werke der Komödiendichter Epicharmos und So-
phron „wie es in sprichwörtlicher Wendung heißt, stets unter seinem Kopfkis-
sen gehabt, auch soll man seine und des Aristophanes Dichtungen noch auf
dem Sterbelager des Philosophen gefunden haben“ (Steinhart 1873, 79). Bis in
die Wortwahl hinein - „Kopfkissen“, „Sterbelager“ - entspricht dies dem
Schluss von JGB 28, wobei zur rhetorischen Zuspitzung unter Anwendung des
in diesem Abschnitt propagierten „Presto“ die beiden minder bekannten grie-
chischen Komödiendichter weggelassen wurden (vgl. auch NL 1885, KSA 12,
1[164], 47, 23 = KGW IX 2, N VII 2, 91, 34: „unter Platos Kopfkissen Ar(istopha-
nes}?“). Aristophanes als durch und durch diesseitiger, weltbejahender Autor
markiert den äußersten Gegensatz zu den Weltfluchttendenzen, die Platon bei
N. unterstellt werden.
47, 22 Sphinx-Natur] Vgl. NK 15, 11-14 u. Ghedini 2011. Wenn Platon eine
„Sphinx-Natur“ attestiert wird - eine Unentschiedenheit zwischen gegenläufi-
gen Tendenzen der Lebensbejahung und der Lebensverneinung -, dann dient
dies einerseits dazu, die Rätselhaftigkeit dieser Gestalt hervorzuheben, ande-
rerseits aber auch dazu, den wirkmächtigsten aller Philosophen zu einem hy-
briden Fabelwesen zu depotenzieren.
geht, jenen verklärenden, complementären Geist, um dessentwillen man dem
ganzen Griechenthum verzeiht, dass es da war, gesetzt, dass man in aller
Tiefe begriffen hat, was da Alles der Verzeihung, der Verklärung bedarf] Vgl.
NK 46, 10-20.
47, 20-27 so wüsste ich nichts, was mich über Plato’s Verborgenheit und
Sphinx-Natur mehr hat träumen lassen als jenes glücklich erhaltene petit fait:
dass man unter dem Kopfkissen seines Sterbelagers keine „Bibel“ vorfand, nichts
Ägyptisches, Pythagoreisches, Platonisches, — sondern den Aristophanes. Wie
hätte auch ein Plato das Leben ausgehalten — ein griechisches Leben, zu dem er
Nein sagte, — ohne einen Aristophanes! —] In der zeitgenössischen altertums-
wissenschaftlichen Forschungsliteratur wurde die auf Olympiodor: Vita Plato-
nis 2, 22-27 (Ed. Didot 1850) zurückgehende Anekdote vom Aristophanes-Papy-
ros bei Platons Sterbebett gelegentlich bemüht (z. B. bei Schuster 1874, 611 u.
Richter 1886, 12. Aus Schusters Artikel hatte sich N. schon für Vorlesungen
bedient, vgl. die Nachweise bei Arenas-Dolz 2010a). N. dürfte die Geschichte
aber schon von seinem Griechischlehrer in Schulpforta, Karl Steinhart vermit-
telt worden sein. Die von Steinhart herausgegebene Platon-Ausgabe hat N. in
Basel mehrfach (oder permanent) aus der Universitätsbibliothek entliehen
(Crescenzi 1994, 412, 415, 424 u. 442, vgl. auch NK KSA 6, 67, 7-9). Als neunter
Band ist dieser Ausgabe Steinharts Monographie Platon’s Leben beigegeben -
von N. in Basel ebenfalls mehrfach entliehen (Crescenzi 1994,424,426 u. 441) -,
die berichtet, Platon habe die Werke der Komödiendichter Epicharmos und So-
phron „wie es in sprichwörtlicher Wendung heißt, stets unter seinem Kopfkis-
sen gehabt, auch soll man seine und des Aristophanes Dichtungen noch auf
dem Sterbelager des Philosophen gefunden haben“ (Steinhart 1873, 79). Bis in
die Wortwahl hinein - „Kopfkissen“, „Sterbelager“ - entspricht dies dem
Schluss von JGB 28, wobei zur rhetorischen Zuspitzung unter Anwendung des
in diesem Abschnitt propagierten „Presto“ die beiden minder bekannten grie-
chischen Komödiendichter weggelassen wurden (vgl. auch NL 1885, KSA 12,
1[164], 47, 23 = KGW IX 2, N VII 2, 91, 34: „unter Platos Kopfkissen Ar(istopha-
nes}?“). Aristophanes als durch und durch diesseitiger, weltbejahender Autor
markiert den äußersten Gegensatz zu den Weltfluchttendenzen, die Platon bei
N. unterstellt werden.
47, 22 Sphinx-Natur] Vgl. NK 15, 11-14 u. Ghedini 2011. Wenn Platon eine
„Sphinx-Natur“ attestiert wird - eine Unentschiedenheit zwischen gegenläufi-
gen Tendenzen der Lebensbejahung und der Lebensverneinung -, dann dient
dies einerseits dazu, die Rätselhaftigkeit dieser Gestalt hervorzuheben, ande-
rerseits aber auch dazu, den wirkmächtigsten aller Philosophen zu einem hy-
briden Fabelwesen zu depotenzieren.