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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0273
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Stellenkommentar JGB 32, KSA 5, S. 50 253

verbreitet, dass derjenige, welcher die Veranlassung zu irgend einem Schaden
giebt, den Schaden bessern muss, gleichgültig, ob er dies helfen kann oder
nicht. Der Gesichtspunkt, von welchem aus die Busse hier betrachtet wird, ist
der eines Ersatzes, und die Ersatzpflicht ist darauf begründet, dass der Thäter
die Ursache des Schadens ist, wobei es gleichgültig erscheint, ob er in der Lage
war, den Schaden abzuwenden oder nicht. Auch derjenige, welcher lediglich
die zufällige Ursache eines Schadens ist, wird bussfällig und strafbar. Der Satz,
dass der Zufall den Eigenthümer trifft, ist so wenig ein allgemeiner, wie derje-
nige, dass es ohne Schuld keine Strafe gebe.“ (Post 1880-1881, 1, 230. N.s Un-
terstreichung, Randanstreichungen von seiner Hand.) Das einzige, was zählt,
sind die Folgen einer Handlung, nicht etwa die damit verbundene Intention
oder überhaupt die „Herkunft“. „Durch Rückschlüsse kann man zu der Annah-
me gelangen, dass auf primitiven Stufen allgemein nach irgend einer Verschul-
dung gar nicht gefragt wird, sondern die Verantwortlichkeit des Thäters in al-
len Fällen gleich ist. Diese Anschauung findet man bei manchen Völkerschaf-
ten noch vollkommen klar ausgesprochen vor, aber auch die Gebräuche, bei
denen allmählich dem Verschulden des Thäters einige /232/ Rechnung getra-
gen wird, weisen auf eine solche Vorstufe zurück, auf welcher der Thäter unbe-
dingt für seine Handlungen verantwortlich gemacht wurde, gleichviel, ob er
zurechnungsfähig war oder nicht, ob er absichtlich oder fahrlässig gehandelt
hat oder er nur die zufällige Ursache eines Unglücksfalles geworden ist, ob er
der Angreifer war oder sich im Zustande der Nothwehr befand.“ (Ebd., 231 f. N.s
Unterstreichungen, diverse Randanstreichungen und Marginalien von seiner
Hand.) Erst später drangen Fragen nach der Absichtlichkeit und nach dem Wil-
len des Täters in die Rechtsvorstellungen ein - und damit das Konzept einer
persönlichen Schuld: „Das römische Recht und die neueren europäischen
Strafgesetzbücher setzen stets eine Verschuldung des Thäters für die Bestra-
fung voraus.“ (Ebd., 237. Von N. mit drei Randstrichen markiert.) Vor dem Hin-
tergrund dieser Vorstellungen einer nicht ursprünglich persönlich anrechenba-
ren Schuld und Verantwortlichkeit wird in JGB 32 den Menschen der Frühzeit
ein lupenreiner Konsequentialismus attestiert, wonach immer nur die Folgen
einer Handlung interessiert hätten.
50, 9 Die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch] Genau diese For-
mulierung kehrt wieder in GM II 4: „Es ist die längste Zeit der menschlichen
Geschichte hindurch durchaus nicht gestraft worden, weil man den Übelan-
stifter für seine That verantwortlich machte, also nicht unter der Vorausset-
zung, dass nur der Schuldige zu strafen sei: — vielmehr, so wie jetzt noch
Eltern ihre Kinder strafen, aus Zorn über einen erlittenen Schaden, der sich am
Schädiger auslässt“ (KSA 5, 298, 9-15). Auch dort geht es also um Fragen der
Zurechenbarkeit; aber vor allem um das Problem, ob die Handlung einem ver-
 
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