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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0280
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260 Jenseits von Gut und Böse

und den Ziegel auf dem Dach bezogen: alles hat nur für das Individuum einen
Sinn“ (KSA 9, 299, 9-12).
51, 26-31 Die Überwindung der Moral, in einem gewissen Verstände sogar die
Selbstüberwindung der Moral: mag das der Name für jene lange geheime Arbeit
sein, welche den feinsten und redlichsten, auch den boshaftesten Gewissen von
heute, als lebendigen Probirsteinen der Seele, vorbehalten blieb.] Der JGB insge-
samt charakterisierende, promissorisch-temptatorische Aspekt exemplifiziert
sich in JGB 32 bei der Zukunft der Moral und der Moralbeurteilung. Eine „Über-
windung der Moral“ wird als fast schon selbstverständlicher Anspruch formu-
liert, ohne dass ausgesprochen würde, worin diese denn konkret bestehen
könnte und welcher Maßstab für Handlungen an die Stelle der Absichtsorien-
tierung (oder der Maximenorientierung) treten könnte.
Den Ausdruck „Probirstein“ benutzt N. nur hier sowie in PHG 11, KSA 1,
846,10. Probiersteine im technischen Sinne sind schwarze Steine, häufig „Kie-
selschiefer oder Basalt zur Untersuchung von Goldlegierungen“ (Meyer 1885-
1892, 13, 397): Die Zusammensetzung einer Edelmetalllegierung wird geprüft,
indem das Metallstück daran gerieben und sodann mit Säuren der Gehalt des
Abriebs untersucht wird. Im übertragenen Sinn kommt „Probierstein“ seit der
frühen Neuzeit häufig vor (Nachweise bei Grimm 1854-1971, 13, 2153); „Probir-
stein der Seele“ ist wiederum im religiös-christlichen Sprachgebrauch geläufig
(Ehmig 1867, 447).

33.
52, 2-14 Es hilft nichts: man muss die Gefühle der Hingebung, der Aufopferung
für den Nächsten, die ganze Selbstentäusserungs-Moral erbarmungslos zur Rede
stellen und vor Gericht führen: ebenso wie die Aesthetik der „interesselosen An-
schauung“, unter welcher sich die Entmännlichung der Kunst verführerisch genug
heute ein gutes Gewissen zu schaffen sucht. Es ist viel zu viel Zauber und Zucker
in jenen Gefühlen des „für Andere“, des „nicht für mich“, als dass man nicht
nöthig hätte, hier doppelt misstrauisch zu werden und zu fragen: „sind es nicht
vielleicht — Verführungen?“ — Dass sie gefallen — Dem, der sie hat, und
Dem, der ihre Früchte geniesst, auch dem blossen Zuschauer, — dies giebt noch
kein Argument fü r sie ab, sondern fordert gerade zur Vorsicht auf. Seien wir also
vorsichtig!] Die Stoßrichtung gegen eine an der Verneinung des Eigeninteresses
ausgerichteten Ethik und gegen eine Ästhetik des interesselosen Wohlgefallens
wendet sich unmittelbar gegen Schopenhauer. Einer Moral der „Selbstentäus-
serung“ ist daran gelegen, das Eigeninteresse dem Interesse der Anderen auf-
zuopfern. Die Gegenstrategie bei N. zielt (im Stile der französischen Moralistik
 
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