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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0295
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Stellenkommentar JGB 36, KSA 5, S. 54 275

will?-“ (NL 1885, KSA 11, 38[12], 610, 18-611, 14 sowie KSA 14, 1TJ bzw.
KGW VII4/2, 471 f. Das Polyptoton „Ring der Ringe“ bemühte N. auch in einem
Titelentwurf NL 1885, KSA 11, 35[39], 528, 4 = KGW IX 4, W I 3, 92, 16.). Das
Ende dieser Aufzeichnung hat N. dann korrigiert, so dass daraus der als „Frag-
ment“ 38 [12] überlieferte Text geworden ist, dessen Ende in der neuen Fassung
lautet: „diese meine dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des
Ewig-sich-selber-Zerstörens, diese Geheimniß-Welt der doppelten Wollüste,
dieß mein Jenseits von Gut und Böse, ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Krei-
ses ein Ziel liegt, ohne Willen, wenn nicht ein Ring zu sich selber guten Willen
hat, - wollt ihr einen Namen für diese Welt? Eine Lösung für alle ihre
Räthsel? ein Licht auch für euch, ihr Verborgensten, Stärksten, Unerschro-
ckensten, Mitternächtlichsten? - Diese Welt ist der Wille zur
Macht - und nichts außerdem! Und auch ihr selber seid dieser Wille
zur Macht - und nichts außerdem!“ (NL 1885, KSA 11, 38[12], 611, 14-20. Zum
Problem der Selbstbezüglichkeit in diesem Notat siehe Zanetti 2000 u. Dellin-
ger 2015, 44).
Während also das Diktat zunächst ganz bei der kosmologischen Gedanken-
führung der ursprünglichen Aufzeichnung bleibt und die „Welt“ im Kontext
der Ewigen Wiederkunft deutet - die als „meine dionysische Welt“ noch
immer nicht nur „ohne Ziel“, sondern auch explizit „ohne Willen“ ist, bemüht
erst die letzte Fassung den „Willen zur Macht“ und nimmt dort im Indikativ
jene Formulierung vorweg, mit der JGB 36 im Konjunktiv II endet (KSA 5, 55,
33 f.). Durch den völlig neuen Schluss (dazu Röllin 2012, 119) entsteht dann
die seltsame Inkongruenz einer Verabschiedung und im selben Atemzug einer
Begrüßung des Willensbegriffs bei der Weltbildbeschreibung. In JGB 36 entfällt
schließlich die ganze Spekulation über die Ewige Wiederkunft und, wenigstens
nominell, auch über das Dionysische: Die in der Schlussfassung von 38[12]
versuchte Synthese der Theorieansätze Ewige Wiederkunft / Wille zur Macht
verfolgte N. gerade nicht weiter (siehe zum Verhältnis von JGB 36 und Nachlass
eingehend Endres / Pichler 2013, 92 u. 102-105).
Vergleicht man den letzten Schluss von 38[12] mit JGB 36, fällt der Modus-
Wechsel auf: Das Nachlassnotat will Verkündigung sein - Verkündigung des-
sen, was dem sprechenden „Ich“ in seinem „Spiegel“ als gegeben erscheint
(- schon Schopenhauer eröffnete die Selbsterfahrung den Zugang zum Eigent-
lichen, seinem „Willen“, vgl. z. B. Schopenhauer 1873-1874, 3, 219 -), dass
nämlich ,,[d]iese Welt [...] der Wille zur Macht“ ist - „ und
nichts außerdem!“ Nicht nur der Indikativ lässt diese Aussage apodik-
tisch erscheinen. Ebenso tut dies der bestimmte Artikel vor dem „Willen zur
Macht“. Das Ende von JGB 36 formuliert hingegen einen Konditionalis und
lässt den bestimmten Artikel weg, transponiert das Ganze also in die Sprache
 
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