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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0302
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282 Jenseits von Gut und Böse

Wirkende; Wollen sei etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes, Unableitbares,
An-sich-Verständliches. [...] Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der
Glaube an den Willen, als an die Ursache von Wirkungen, ist der Glaube an
magisch wirkende Kräfte“ (KSA 3, 482, 13-15 u. 26-28). Das demgegenüber in
JGB 36 exponierte Konzept einer Kausalität, in der nur Wille(nsquantum) auf
Wille(nsquantum) wirken kann, ist unter den Voraussetzungen eines Willens-
monismus schlüssig, wie ihn Schopenhauer vertrat, der den Leib für eine Ob-
jektivation des einen Willens hielt, freilich den Ursachenbegriff im Kontext
2. Buch des 1. Bandes der Welt als Wille und Vorstellung (§ 23) nur subsidiär
gebrauchte: „Man hat bisher für Erscheinungen des Willens nur diejenigen
Veränderungen angesehen, die keinen andern Grund, als ein Motiv, d. h. eine
Vorstellung haben; daher man in der Natur allein dem Menschen und allenfalls
den Thieren einen Willen beilegte [...]. Allein daß der Wille auch da wirkt, wo
keine Erkenntniß ihn leitet, sehen wir zu allernächst an dem Instinkt und den
Kunsttrieben der Thiere. [...] Haben wir nun einmal die Einsicht erlangt, daß
Vorstellung als Motiv keine nothwendige und wesentliche Bedingung der Thä-
tigkeit des Willens ist; so werden wir das Wirken des Willens nun auch leichter
in Fällen wiedererkennen, wo es weniger augenfällig ist, und dann z. B. so
wenig das Haus der Schnecke einem ihr selbst fremden, aber von Erkenntniß
geleiteten Willen zuschreiben, als das Haus, welches wir selbst bauen, durch
einen andern Willen als unsern eigenen ins Daseyn tritt; sondern wir werden
beide Häuser für Werke des in beiden Erscheinungen sich objektivirenden Wil-
lens erkennen, der in uns nach Motiven, in der Schnecke aber noch blind, als
nach Außen gerichteter Bildungstrieb wirkt. Auch in uns wirkt der selbe Wille
vielfach blind: in allen den Funktionen unseres Leibes, welche keine Erkennt-
niß leitet, in allen seinen vitalen und vegetativen Prozessen, /137/ Verdauung,
Blutumlauf, Sekretion, Wachsthum, Reproduktion. Nicht nur die Aktionen des
Leibes, sondern er selbst ganz und gar ist, wie oben nachgewiesen, Erschei-
nung des Willens, objektivirter Wille, konkreter Wille: alles was in ihm vor-
geht, muß daher durch Wille vorgehen, obwohl hier dieser Wille nicht von
Erkenntniß geleitet ist, nicht nach Motiven sich bestimmt, sondern, blind wir-
kend, nach Ursachen, die in diesem Fall Reize heißen.“ (Schopenhauer
1873-1874, 2, 136 f.) Aber diese „Reize“ als „Ursachen“ sind für Schopenhauer
wesentlich Emanationsformen des Willens.
In der Vorarbeit NL 1885, KSA 11, 40[37], 646, 23-647, 15 (KGW IX 4, W I 7,
57, 2-36) steht der Begriff „Kraft“ zu Beginn an prominenter Stelle, wird im
Laufe der Überlegung aber durch „Wille“ substituiert (vgl. auch Schopenhauer
1873-1874, 2, 133). Hier mag N.s intensive Lektüre von Drossbachs Ueber die
scheinbaren und die wirklichen Ursachen nachgewirkt haben, der im ersten, von
N. eifrig glossierten Kapitel „Gegen die Causalität der Erscheinungen“ polemi-
 
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