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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0311
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Stellenkommentar JGB 39, KSA 5, S. 56-57 291

philosophischer Stärke destillisiert. Vielmehr zielt diese schließlich für die
„Umwerthung aller Werthe“ ausgegebene Schrift selber durch die Vernichtung
aller religiös-weltanschaulichen Gewissheiten auf das „Unglücklich-machen
und Böse-machen“, um auf diese Weise neue Werte zu inaugurieren.
56, 21-25 die lieblichen „Idealisten“ etwa ausgenommen, welche für das Gute,
Wahre, Schöne schwärmen und in ihrem Teiche alle Arten von bunten plumpen
und gutmüthigen Wünschbarkeiten durcheinander schwimmen lassen] Im Idea-
lismus als einer Wirklichkeitskonzeption, die im Geistigen, in der Idee die
Grundstruktur der Wirklichkeit erkennt, kann, wie bei Platon das Gute oder
dessen Idee als höchster Gegenstand der Wissenschaft erscheinen (Platon: Po-
liteia 505 a ff.) und als Grund alles Schönen und Wahren (Politeia 508 e).
Der Ausdruck „Wünschbarkeit“ kommt bei N. mit rund 50 Belegen erst ab
1885 vor (an der ersten Stelle in NL 1885, KSA 11, 37[8], 582, 1 (entspricht KGW
IX 4, W I 6, 41, 41 f.) sprach er von „Heerden-Wünschbarkeiten“ - was in JGB
44, KSA 5, 62, 5 wiederkehrt); das Wort war zu N.s Zeit vor allem in schweizeri-
schem Kontext geläufig (auch zwei der drei Belege bei Grimm 1854-1971, 30,
2033 stammen von Schweizer Autoren). FW 373 bezieht eine ähnliche Frontstel-
lung wie JGB 39, benennt aber einen Repräsentanten jener Form des Nachden-
kens, die ihre Weitsicht einer „Horizont-Linie der Wünschbarkeit“ (KSA 3, 625,
7 f.) einschreibt, namentlich: Herbert Spencer (vgl. auch FW 382, KSA 3, 636,
4). Die erkenntnislüsternen, neuen Philosophen können es zu ihrem ,Allein-
stellungsmerkmar machen, nicht nur eine fundamentale „Kritik der Wünsch-
barkeiten“ (NL 1886/87, KSA 12, 5[100], 227, 16, entspricht KGW IX 3, N VII 3,
90, 34) zu formulieren, sondern überhaupt - jetzt ohne distanzierende Anfüh-
rungszeichen - „der Wahrheit alle Wünschbarkeit zu opfern“ (GM I 1, KSA 5,
258, 17). Auch bei der Lektüre von Simplikios’ Commentar zu Epiktetos Hand-
buch floss N. die „Wünschbarkeit“ in die Feder: Er notierte oben auf einer Seite,
die in der ersten Zeile den folgenden Satz beendete: „Suche nicht, dass
das Geschehende /161/ so geschehe, wie du willst“ (Simplikios
1867, 160 f.), mit sehr deutlicher Schrift: „Gegen die ,Wünschbarkeit4 -“ (ebd.,
161).
57,17-24 Einen letzten Zug zum Bilde des freigeisterischen Philosophen bringt
Stendhal bei, den ich um des deutschen Geschmacks willen nicht unterlassen will
zu unterstreichen: — denn er geht wider den deutschen Geschmack. „Pour etre
bon philosophe“, sagt dieser letzte grosse Psycholog, „il faut etre sec, clair, sans
illusion. Un banquier, qui a fait fortune, a une partie du caractere requis pour
faire des decouvertes en Philosophie, c’est-ä-dire pour voir clair dans ce qui est.”]
N. konnte diese Stelle zum einen in Paul Bourgets Essais de Psychologie con-
temporaine (1883) finden (Bourget 1883, 262 = Bourget 1920,1, 284), zum ande-
 
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