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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0318
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298 Jenseits von Gut und Böse

bittlichkeit und Kälte als Haltung zulässt. Divergente Deutungsansätze präsen-
tieren Braatz 1988,136 f.; Planckh 1998, 231 f.; Steinmann 2000,171-173 u. Mül-
ler 2013, 254 f.
58.18- 28 Ein solcher Verborgener, der aus Instinkt das Reden zum Schweigen
und Verschweigen braucht und unerschöpflich ist in der Ausflucht vor Mitthei-
lung, will es und fördert es, dass eine Maske von ihm an seiner Statt in den
Herzen und Köpfen seiner Freunde herum wandelt; und gesetzt, er will es nicht,
so werden ihm eines Tages die Augen darüber aufgehn, dass es trotzdem dort
eine Maske von ihm giebt, — und dass es gut so ist. Jeder tiefe Geist braucht eine
Maske: mehr noch, um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eine Maske, Dank
der beständig falschen, nämlich flachen Auslegung jedes Wortes, jedes Schrit-
tes, jedes Lebens-Zeichens, das er giebt. —] In der Reinschrift hieß es stattdes-
sen zunächst: „Mensch lernt allmählich, nicht ohne Frost und Verwunderung,
die Maske kennen, als welche er in den Köpfen und Herzen seiner Freunde
herumwandelt: aber wie viel heimliche Bitterkeit hat er noch hinunter zu trin-
ken, ehe er auch die Kunst und den guten Willen hinzulernt, seine Freunde
nun auch nicht mehr ,zu enttäuschen4: das heißt, seine Noth wie sein Glück
immer erst ins Oberflächliche, in die ,Maske4 zu übersetzen, um etwas von sich
ihnen — mittheilen zu können44 (KSA 14, 353). Im Druckmanuskript wurde
am Ende der Satz gestrichen: „Freilich es macht erschrecken, wenn man zum
ersten Mal die Maske entdeckt, die man scheint:-44 (KSA 14, 353).
Jede Form von Kommunikation produziert gemäß dem Schluss von JGB
40 immer neue Masken, weil niemand sich in Worten oder Taten vollständig
kundgeben kann. Wie immer das Gegenüber das auffasst, was jemand sagt:
Dadurch, dass er es sagt und das Gegenüber sich das Gesagte zueigen machen
muss, verschwindet dieser Jemand hinter einer neuen Maske. Und überdies:
Da Wörter konventionell sind, haben sie selbst Verbergungscharakter - dienen
der ,Maskenwirtschaft4.
58.18- 20 der aus Instinkt das Reden zum Schweigen und Verschweigen braucht
und unerschöpflich ist in der Ausflucht vor Mittheilung] Sentenzenhaft zugespitzt
wird dieser Nebensatz in JGB 169, vgl. NK 102, 8f.
41.
Dieser Abschnitt schließt an JGB 40 an, indem er zu verdeutlichen sucht, zu
welchem Zweck der tiefe Geist geradezu darum besorgt sein soll, sich mit Mas-
ken auszustatten: nämlich um seine „Unabhängigkeit“ (58, 31) zu wahren. Mit
dieser Verteidigung der Autarkie wird ein Selbstverständnis aufgenommen, das
die Philosophen seit der Antike begleitet und sich besonders stark in der Stoa
 
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