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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0333
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Stellenkommentar JGB 45, KSA 5, S. 65 313

und Gewissen in der Seele der homines religiosi“ (65, 23f.) zu tun sei, für
das er sich eben jemanden vom Schlage Pascals zum Gefährten wünscht. Dabei
scheint die Qualifikation als Gefährte offenbar nicht in größtmöglicher Distanz
zum Gegenstand und damit in wissenschaftlicher Objektivität begründet zu
sein, sondern vielmehr in persönlicher Betroffenheit: Die angekündigte „Jagd“
fände dann im eigenen Innern statt (zu Jagd- und Waldmetaphern bei Bourget
1883, 243, 281 u. 287 siehe Nietzsche 1991, 123).
Ein sarkastischer Interpret könnte geneigt sein, die so prominent herausge-
stellte Gefährtenlosigkeit als Versuch N.s zu werten, über seinen räuberischen
Umgang mit der von ihm im Dritten Hauptstück ausgebeuteten Literatur hin-
wegzutäuschen. Im Detail behandelt er das Problem des Gewissens dann in
GM II.
65, 4-25 Die menschliche Seele und ihre Grenzen, der bisher überhaupt erreich-
te Umfang menschlicher innerer Erfahrungen, die Höhen, Tiefen und Fernen die-
ser Erfahrungen, die ganze bisherige Geschichte der Seele und ihre noch un-
ausgetrunkenen Möglichkeiten: das ist für einen geborenen Psychologen und
Freund der „grossen Jagd“ das vorbestimmte Jagdbereich. Aber wie oft muss er
sich verzweifelt sagen: „ein Einzelner! ach, nur ein Einzelner! und dieser grosse
Wald und Urwald!“ Und so wünscht ersieh einige hundert Jagdgehülfen und feine
gelehrte Spürhunde, welche er in die Geschichte der menschlichen Seele treiben
könnte, um dort sein Wild zusammenzutreiben. Umsonst: er erprobt es immer
wieder, gründlich und bitterlich, wie schlecht zu allen Dingen, die gerade seine
Neugierde reizen, Gehülfen und Hunde zu finden sind. Der Übelstand, den es
hat, Gelehrte auf neue und gefährliche Jagdbereiche auszuschicken, wo Muth,
Klugheit, Feinheit in jedem Sinne noth thun, liegt darin, dass sie gerade dort
nicht mehr brauchbar sind, wo die „grosse Jagd“, aber auch die grosse Gefahr
beginnt: — gerade dort verlieren sie ihr Spürauge und ihre Spürnase. Um zum
Beispiel zu errathen und festzustellen, was für eine Geschichte bisher das Pro-
blem von Wissen und Gewissen in der Seele der homines religiosi gehabt
hat] In W I 6 lautet eine frühere Fassung: „Als ich jünger war, wähnte ich, daß
mir einige hundert Gelehrte fehlten, welche ich wie Spürhunde in die Gebü-
sche - ich meine in die Geschichte der menschlichen Seele, in ihre Vergangen-
heit und Zukunft treiben könnte, um mir dort mein Wild aufzujagen. Inzwi-
schen lernte ich, nicht ohne viel Widerstreben, daß zu den Dingen, welche
meine Neugierde reizten, Gehülfen, selbst Hunde schwer zu finden sind. Der
Übelstand, den es hat, Gelehrte auf gefährliche Jagdbereiche auszuschicken,
wo Freiheit, Feinheit und Unbedenklichkeit in jedem Sinne noth thun, liegt
darin, daß sie gerade dort keine Augen und Spürnasen haben wo die Gefahr
beginnt, wo die gute Jagd beginnt. Um zum Beispiel zu errathen und festzustel-
len, was bisher das Problem von Wissen und Gewissen für eine Geschichte
 
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