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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0352
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332 Jenseits von Gut und Böse

68, 18-23 Und so war es eine ächt Schopenhauerische Consequenz, dass sein
überzeugtester Anhänger (vielleicht auch sein letzter, was Deutschland betrifft —),
nämlich Richard Wagner, das eigne Lebenswerk gerade hier zu Ende brachte
und zuletzt noch jenen furchtbaren und ewigen Typus als Kundry auf der Bühne
vorführte, type vecu, und wie er leibt und lebt] Kundry ist in Richard Wagners
Parsifal (1882) die Helferin der Gralsritter, die ihre Erlösung im vergänglichen
Augenblick der Sinnlichkeit sucht und deshalb zu ewiger Wanderschaft ver-
dammt ist. Auf Betreiben des Zauberers Klingsor versucht sie erfolglos, Parsifal
zu verführen. Dieser wiederum erfährt durch Kundry von seiner Herkunft und
kann sie schließlich durch sein Mitleid erlösen, vgl. NK KSA 6, 17, 6-8; NK
KSA 6, 357, 4-12 u. NK KSA 6, 364, 6-11, ferner Moraes Barros 2014. Wagners
Begeisterung für Schopenhauer bot dem späten N. wiederholt Anlass zu Spott
und diente ihm als Beweis für die weltflüchtige Dekadenz des Komponisten.
68, 23-28 zu gleicher Zeit, wo die Irrenärzte fast aller Länder Europa’s einen
Anlass hatten, ihn aus der Nähe zu studiren, überall, wo die religiöse Neurose —
oder, wie ich es nenne, „das religiöse Wesen“ — als „Heilsarmee“ ihren letzten
epidemischen Ausbruch und Aufzug gemacht hat.] Von NL 1884, KSA 11, 25[419],
122,14 f. an - „die Symptome des religiösen Affects (Heils-Armee) (die religiöse
Ecstasis)“ - zog N. gelegentlich die Heilsarmee, jene vom Methodistenpfarrer
William Booth begründete, seit 1878 unter dem Namen „The Salvation Army“
firmierende, protestantisch-freikirchliche, bald auch in Deutschland aktive
Missions- und Erweckungsbewegung, als Beispiel für eine besonders charakte-
ristische Form überspannter, typisch englischer Religiosität in der Gegenwart
heran (vgl. NL 1884, KSA 11, 26[380], 251, 13 f.; NL 1885, KSA 11, 34[24], 428,
16 f., entspricht KGW IX 1, N VII1, 182, 15-19. Diese Überlegungen liegen dann
der Erwähnung in JGB 252, KSA 5, 196, 10 f. zugrunde. Schon im Gespräch mit
Josef Paneth kam N. im Januar 1884 auf die Heilsarmee zu sprechen - Krummei
1988, 485). GM III 22, KSA 5, 393, 16-18 erwähnt den Kampf der Heilsarmee
gegen Shakespeare und ähnliche moralische „Heiden“. In Leckys Entstehungs-
geschichte und Charakteristik des Methodismus (1880) und in Hillebrands Auf-
satz Ueber das religiöse Leben in England (Hillebrand 1885, 245-309) spielte die
Heilsarmee noch keine Rolle (vgl. NK KSA 6, 231, 7-12); hingegen wurde ihr
Vordringen nach Deutschland nach 1880 in der Presse eifrig und meist gering-
schätzig kommentiert. Sehr bald avancierte sie als „Sekte“ auch zum Gegen-
stand lexikalischer Darstellung: „Die Mitglieder [sc. der Heilsarmee] verschmä-
hen alle geistigen Getränke, leben einfach, meiden weltliche Bücher und Ver-
gnügungen, suchen die Leidenschaften, namentlich den Zorn, durch stete
Meditation zu unterdrücken und widmen sich namentlich der Pflege der Ar-
men. Ihr öffentliches Auftreten ist aber herausfordernd und nicht frei von Ro-
heit, so daß ihre Erfolge gering sind. Auch auf dem Kontinent, besonders in der
 
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