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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0353
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Stellenkommentar JGB 48, KSA 5, S. 68-69 333

Schweiz, versuchte die H. ihre Thätigkeit zu entfalten, erregte jedoch vielfach
Ärgernis, so daß die Behörden mit Verboten einschritten.“ (Meyer 1885-1892,
8, 299).
68, 28-69, 8 Fragt man sich aber, was eigentlich am ganzen Phänomen des
Heiligen den Menschen aller Art und Zeit, auch den Philosophen, so unbändig
interessant gewesen ist: so ist es ohne allen Zweifel der ihm anhaftende Anschein
des Wunders, nämlich der unmittelbaren Aufeinanderfolge von Gegen-
sätzen, von moralisch entgegengesetzt gewertheten Zuständen der Seele: man
glaubte hier mit Händen zu greifen, dass aus einem „schlechten Menschen“ mit
Einem Male ein „Heiliger“, ein guter Mensch werde. Die bisherige Psychologie litt
an dieser Stelle Schiffbruch: sollte es nicht vornehmlich darum geschehen sein,
weil sie sich unter die Herrschaft der Moral gestellt hatte, weil sie an die morali-
schen Werth-Gegensätze selbst glaubte, und diese Gegensätze in den Text
und Thatbestand hineinsah, hineinlas, hinein deutete? — Wie? Das „ Wunder“
nur ein Fehler der Interpretation? Ein Mangel an Philologie? —] Der wissen-
schaftliche Umgang mit religiösen Phänomenen, insbesondere mit dem Typus
des sich zum Heiligen wandelnden Sünders gerät hier - wenngleich in der
Form einer rhetorischen Frage - in den Verdacht moralischer Kontamination.
Als wissenschaftliche Leitdisziplin erscheint hierbei nicht etwa die Psycholo-
gie, die in ihrer herkömmlichen Form gerade in diesem Fall versagt habe, son-
dern die Philologie, zu deren Kennzeichen es nach AC 52 gehört, Tatsachen
nicht vorneweg durch Interpretationen zu fälschen (vgl. NK KSA 6, 233, 16 f. u.
NK KSA 6, 233, 17-24). Im Falle des Umgangs mit dem Heiligen war nach der
Diagnose von JGB 47 bisher die Interpretation den Tatsachen immer schon vor-
geordnet. Eine neue Psychologie bedürfte also zuerst der methodisch-philolo-
gischen Schulung.
48.
In der Vorarbeit von KGWIX 5, WI 8,187 f. ist der Anfang von JGB 255 mit dem
späteren Text von JGB 48 verschränkt, siehe NK 200, 23-31.
69,10-22 Es scheint, dass den lateinischen Rassen ihr Katholicismus viel inner-
licher zugehört, als uns Nordländern das ganze Christentum überhaupt: und dass
folglich der Unglaube in katholischen Ländern etwas ganz Anderes zu bedeuten
hat, als in protestantischen — nämlich eine Art Empörung gegen den Geist der
Rasse, während er bei uns eher eine Rückkehr zum Geist (oder Ungeist —) der
Rasse ist. Wir Nordländer stammen unzweifelhaft aus Barbaren-Rassen, auch in
Hinsicht auf unsere Begabung zur Religion: wir sind schlecht für sie begabt.
Man darf die Kelten ausnehmen, welche deshalb auch den besten Boden für die
 
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