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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0355
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Stellenkommentar JGB 48, KSA 5, S. 69 335

rer Konfession mit gleichem Eifer. Dennoch richtet diese Ueberzeugung sich
bloß nach dem Lande, wo jeder geboren ist: dem süddeutschen Geistlichen
nämlich leuchtet die Wahrheit des katholischen Dogma’s vollkommen ein, dem
norddeutschen aber die des protestantischen. Wenn nun also dergleichen
Ueberzeugungen auf objektiven Gründen beruhen; so müssen diese Gründe
klimatisch sein und, wie die Pflanzen, die einen nur hier, die andern nur dort
gedeihen. Das Volk nun aber nimmt überall auf Treu und Glauben die Ueber-
zeugungen dieser Lokal-Ueberzeugten an. / [...] Schadet nicht und macht im
Wesentlichen keinen Unterschied: auch ist z. B. wirklich der Protestantismus
dem Norden, der Katholicismus dem Süden angemessener.“ (Schopenhauer
1873-1874, 6, 352. Schon in Montesquieus De l’esprit des lois, Buch XXIV, Kapi-
tel 5 klingen ähnliche Überlegungen an.) Zur (oberflächlichen) Christianisie-
rung der Germanen und zur Barbarisierung des Christentums durch die Germa-
nen hat N. im Übrigen auch Erkenntnisse aus Julius Lipperts Christenthum,
Volksglaube und Volksbrauch geschöpft (vgl. Orsucci 1996, 294-297).
69, 22 zum Ausblühen.] In der Fassung von KGW IX 5, W I 8, 187, 26-30 folgt
darauf der gestrichene Passus: „Die franz. Freigeisterei, wie 'und'' der ganze
franz. Aufklärungs-krieg hat etwas von einer rder Gluth'' einer relig. Rasse ''Be-
wegung'' an sich Es überrascht mich immer wieder, die dunklen ru. purpurnen''
Farben“ (vgl. KSA 14, 354).
69, 25 f. Wie katholisch, wie undeutsch riecht uns Auguste Comte’s Sociologie
mit ihrer römischen Logik der Instinkte!] Auch in GD Streifzüge eines Unzeitge-
mässen 4, KSA 6, 113, 16-19 gerät der französische Positivist Auguste Comte
(1798-1857) unter Verdacht, „Jesuit“ zu sein (vgl. NK 13, 6) und die Franzosen
„nach Rom führen“, also rekatholisieren zu wollen. Comtes einer neuen „Reli-
gion de l’Humanite“ verpflichtetes Systeme de politique positive zeigt jeden-
falls, wie stark ins Religiöse sich der Positivismus schließlich zurückwandte
(Comte 1851, vgl. NK 6/1, S. 414 f.). Fornari 2009, 249 f., Fn. 182 dokumentiert
N.s Lesespuren in John Stuart Mills Auguste Comte und der Positivismus, wo N.
u. a. den Satz markiert hat: „Hr. Comte ist Moral-trunken. Ihm wird jede Frage
zu einer Frage der Moral“ (Mill 1869-1886, 9, 99. N.s Unterstreichungen). Diese
Mill-Passagen beschäftigen sich mit Fragen des Trieb Verzichts und wenden
sich gegen Comtes Hypermoralisierung, thematisieren jedoch nicht seine ka-
tholisierenden Tendenzen. Comtes „Altruismus“ steht nach Mill dennoch in
enger Verbindung mit dem exemplarischen katholischen Erbauungsbuch, der
Imitatio Christi des Thomas von Kempen „Die goldene Regel der Moral in der
Religion Hrn. Comte’s lautet: ,vivre pour autrui‘, für Andere zu leben. Anderen
zu thun, wie wir wollen, daß man uns thue, und unsern Nächsten lieben wie
uns selbst, dies genügt ihm nicht; es hat dies, so meint er, noch immer zu viel
 
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