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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0356
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336 Jenseits von Gut und Böse

vom Wesen persönlicher Berechnung an sich. Wir sollten dahin trachten, uns
selbst gar nicht zu lieben. [...] Ihn befriedigt der Menschheit gegenüber nichts
Geringeres, als was einer seiner Lieblingsschriftsteller, Thomas a Kempis zu
Gott sagt: ,Amern te plus quam me, nec me nisi propter te‘ [,Ich möchte dich
mehr lieben als mich, und mich nur wegen dir‘]. Alle Erziehung und alle sittli-
che Zucht sollen nur den Einen Zweck haben, dem Altruismus (ein Wort seiner
Erfindung) über den Egoismus zum Sieg zu verhelfen“ (Mill 1869-1886, 9, 98).
Zur ambivalenten Comte-Rezeption in Deutschland siehe Feuerhahn 2014b.
69, 26-28 Wie jesuitisch jener liebenswürdige und kluge Cicerone von Port-
Royal, Sainte-Beuve, trotz all seiner Jesuiten-Feindschaft!] Während N., der die
erste deutsche Übersetzung der Causeries des französischen Literaturkritikers
Charles-Augustin Sainte-Beuve (1804-1869) angeregt hat (Sainte-Beuve 1880,
vgl. ausführlich die Erläuterungen in Sainte-Beuve 2014), in der Zeit von MA
starke Sympathie für Sainte-Beuve zeigte, sollte er in GD Streifzüge eines Un-
zeitgemässen 3 ätzenden Spott über ihn ausgießen, vgl. NK 6/1, S. 407-412.
Sainte-Beuve hatte sich zwar schon früh vom Katholizismus abgewandt, blieb
aber zeitlebens fasziniert von starken religiösen Gesten und Empfindungen.
Seine mehrbändige, zwischen 1840 und 1859 erschienene Histoire de Port-
Royal, die auf Lausanner Vorlesungen von 1837/38 zurückgeht, erschließt das
Denken, Fühlen und Handeln der oft verfolgten Jansenisten, die sich im Kloster
Port-Royal zusammenfanden, eine radikalisierte, an Augustinus geschulte
Frömmigkeit pflegten und von erheblichem sowohl intellektuellem als auch
politischem Einfluss waren. Als Gegner der Jansenisten traten die Jesuiten auf.
Sie hat Sainte-Beuve als Historiker von Port-Royal wiederum kritisch beur-
teilt - um dann selbst in der nächsten dialektischen Wendung bei N. des Jesui-
tismus (vgl. NK 13, 6) bezichtigt zu werden.
„Cicerone“ war „in Italien eine Bezeichnung der Fremdenführer, vielleicht
wegen ihrer Redseligkeit als Anspielung auf Cicero“ (Meyer 1885-1892, 4, 124).
Natürlich kannte N. Jacob Burckhardts Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss
der Kunstwerke Italiens (1869a). Sainte-Beuve wiederum betätigte sich in seiner
Histoire de Port-Royal für seine Leser auf dem gänzlich ferngerückten Terrain
des Jansenismus als Fremdenführer.
69, 28-32 Und gar Ernest Renan: wie unzugänglich klingt uns Nordländern die
Sprache solch eines Renan, in dem alle Augenblicke irgend ein Nichts von religiö-
ser Spannung seine in feinerem Sinne wollüstige und bequem sich bettende Seele
um ihr Gleichgewicht bringt!] N. hat das Werk des französischen Religionswis-
senschaftlers und Philosophen Ernest Renan (1823-1892) intensiv studiert und
seine Histoire des origines du Christianisme mit der Vie de Jesus (1863/67) bei-
spielsweise für seine Jesus-Typologie und die Verfallsgeschichte des Christen-
 
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