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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0358
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338 Jenseits von Gut und Böse

le plus dans le vrai quand il est le plus religieux et le plus assure dune destinee
infinie“ (Renan 1870, 416. „Es ist in seinen besten Augenblicken, dass der
Mensch religiös ist, es ist, wenn er gut ist, dass er will, dass die Tugend einer
ewigen Ordnung entspreche, es ist, wenn er die Dinge in einer uneigennützi-
gen Weise kontempliert, dass er den Tod empörend und absurd findet. Wie
nicht annehmen, dass es in diesen Augenblicken ist, dass der Mensch am bes-
ten sieht? Der egoistische und zerstreute Mensch oder der gute und gesam-
melte Mensch, welcher von beiden hat recht? Falls, wie die italienischen
Sophisten des 16. Jahrhunderts es wollten, die Religion erfunden worden
war von den Einfachen und Schwachen, wie würden dann die schönsten
Naturen gerade die religiösesten sein? Sagen wir daher mutig, dass die
Religion ein Produkt des normalen Menschen ist, dass der Mensch am meis-
ten im Wahren ist, wenn er am meisten religiös und am meisten eines
ewigen Schicksals versichert ist“). N., der Renans Questions contemporaines
nicht besaß, dürfte das Zitat in Paul Bourgets Essais de Psychologie contem-
poraine (Bourget 1883, 78 f.) gefunden haben (vgl. Campioni 1990, 532). Zur
Desinteressiertheit vgl. NK154, 27-155, 13.
70,11-13 Diese Sätze sind meinen Ohren und Gewohnheiten so sehr antipo-
disch, dass, als ich sie fand, mein erster Ingrimm daneben schrieb „la niaiserie
religieuse par excellence!“] Da N.s Handexemplar von Bourgets Essais de Psy-
chologie contemporaine von 1883 (im Unterschied zum Nachfolgeband von
1886) nicht erhalten ist, lässt sich diese Behauptung nicht verifizieren, aber sie
passt zu N.s sonst vielfach belegter Praxis des Marginalienschreibens in Bü-
chern anderer Autoren.

49.
70, 18-24 Das, was an der Religiosität der alten Griechen staunen macht, ist
die unbändige Fülle von Dankbarkeit, welche sie ausströmt: — es ist eine sehr
vornehme Art Mensch, welche s o vor der Natur und vor dem Leben steht! —
Später, als der Pöbel in Griechenland zum Übergewicht kommt, überwuchert die
Furcht auch in der Religion; und das Christenthum bereitete sich vor.] Einen
religionsgeschichtlich noch weiter ausgreifenden Vorspann hat JGB 49 in MA I
111. Dort sah N. den ,,religiöse[n] Cultus“ gegründet auf „edleren Vorstellun-
gen; er setzt das sympathische Verhältniss von Mensch zu Mensch, das Dasein
von Wohlwollen, Dankbarkeit, [...] voraus. Der Mensch steht auch in sehr nie-
deren Culturstufen nicht der Natur als ohnmächtiger Sclave gegenüber [...]: auf
der griechischen Stufe der Religion, besonders im Verhalten zu den olympi-
schen Göttern, ist sogar an ein Zusammenleben von zwei Kasten, einer vorneh-
 
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