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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0367
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Stellenkommentar JGB 53, KSA 5, S. 72 3 47

XVIIe siede, oü les vieux textes les plus terribles sont traduits en une langue
academique et decores de vignettes en style rococo“ (Renan 1877, 250 - „über-
schreitet in seinem Wert nicht, in den Augen eines Mannes von Geschmack,
eine jener faden Bibeln des 17. Jahrhunderts, in denen die schrecklichsten alten
Texte in eine akademische Sprache übersetzt und mit Vignetten im Rokoko-
Stil dekoriert sind“).
Zur Haustier-Metapher, die das Christentum als Instrument zur Domestika-
tion instinktunsicherer Barbaren denunziert, siehe NK KSA 6,130, 27-134,12 u.
NK KSA 6, 170, 28 f., ferner NK KSA 6, 99, 5-8.
Die Präferenz für das Alte Testament auf Kosten des Neuen bricht nicht
nur mit der christlich-kirchlichen Überlieferung, die die hebräische Bibel bloß
als Vorstufe zur Offenbarung Gottes in Christus verstanden wissen wollte. Sie
richtet sich auch gegen den von Richard Wagner vertretenen Neo-Marcionitis-
mus (vgl. NK 67, 3-7), indem sie zwar wie Marcion und Wagner einer radikalen
Scheidung von Altem und Neuem Testament das Wort redet, aber gerade um-
gekehrt wertet. JGB 52 wendet sich aber vor allem gegen Schopenhauer, der
dem wahren, neutestamentlichen Christentum radikalen Asketismus attestierte
und meinte, das Neue Testament sei grundlegend pessimistisch und müsse
„irgendwie indischer Abstammung seyn“ (Schopenhauer 1873-1874, 6, 407),
während das Alte Testament (abgesehen von der pessimistischen Sündenfall-
geschichte) und mit ihm das Judentum „zum Grundcharakter Realismus
und Optimismus“ habe (ebd., 405, vgl. dazu Hödl 2009, 320 u. 329). Schon
Schopenhauer behauptete, dass das Alte und das Neue Testament eigentlich
nicht zusammengehören, verhehlte aber keinen Augenblick lang, dass aus sei-
ner eigenen philosophischen Position das Neue Testament unbedingten Vor-
rang verdiene: „der Geist des Alten Testaments [ist] dem des Neuen Testaments
diametral entgegengesetzt: jener optimistisch, dieser pessimistisch“ (Schopen-
hauer 1873-1874, 3, 713). Denn: „Allein die /713/ Verbindung des Neuen Testa-
ments mit dem Alten ist im Grunde nur eine äußerliche, eine zufällige, ja er-
zwungene, und den einzigen Anknüpfungspunkt für die Christliche Lehre bot
dieses, wie gesagt, nur in der Geschichte vom Sündenfall dar, welcher übrigens
im Alten Testament isolirt dasteht und nicht weiter benutzt wird.“ (Ebd., 712 f.)
JGB 52 adaptiert also Schopenhauers radikale Trennung von Altem und Neuem
Testament, um jedoch auf Grundlage einer antipessimistischen Philosophie der
Lebensbejahung Schopenhauers Wertung umzuwerten.

53.
72, 26-73, 3 Warum heute Atheismus? — „Der Vater“ in Gott ist gründlich wider-
legt; ebenso „der Richter“, „der Belohner“. Insgleichen sein „freier Wille“: er hört
 
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