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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0375
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Stellenkommentar JGB 55, KSA 5, S. 74 355

Beim Erstlingsopfer ist an die in Genesis 22, 1-19 erzählte Geschichte der
zuerst von Gott befohlenen, schließlich aber abgewendeten Opferung Isaaks
durch seinen Vater Abraham zu denken, jedoch auch an die tatsächlich erfolg-
te Opferung der Tochter Jephtas (Richter 11, 31-40. Spencer 1879, 31 erwähnt
diesen Locus ausdrücklich, vgl. NK 74, 8-12). Über den Begriff „Erstlings-Op-
fer“, „das uralte Opfer des Erstgeborenen“ und seine Fortwirkung im
Christentum konnte sich N. bei Lippert 1881, 483 und Lippert 1882 belehren,
vgl. die Quellenauszüge in NK KSA 6, 189, 8-12.
Der römische Kaiser Tiberius, der von 14 bis 37 n. Chr. regierte (vgl. auch
M 460, KSA 3, TTI, 5-9), hat seine letzten Lebensjahre hauptsächlich auf Capri
verbracht und soll sich dort - wie insbesondere Sueton: De vita Caesarum:
Tiberius 43-44 ausmalt - auf grausame Weise an Knaben vergangen haben.
Im März 1877 hat N. Capri besucht, in NL 1878, KSA 8, 28[17]-28[34], 506, 13-
508, 13 finden sich einige Notizen, die um „Mitromania“ (KSA 8, 506, 13), den
„Mithraswahnsinn“ (507, 8), Tiberius und die „Grotta di Matrimonio“ (507,
10) kreisen und vom Versuch zeugen, die dunklen, kultisch-ekstatischen Prak-
tiken der Antike in ein modernes Denkschema zu übersetzen: „Das Leben als
Fest auszudenken von Mitromanie aus.“ (508, 13, vgl. Heller 1973.) Theodor
Gsell-Fels’ Reiseführer Italien in sechzig Tagen, den N. benutzt hat, empfiehlt
einen Spaziergang zur „überaus malerisch gelegene [n] Mithrasgrotte (Grotta
Mitromania) mit antikem Mauerwerk, Banken und Zugang zum ehemaligen
Heiligthum. Jenseit [sic] der Grotte Prachtblick auf das Meer“ (Gsell-Fels 1878a,
810), geizt aber mit weiteren Informationen. Zur Kontexterhellung kann man
Ferdinand Gregorovius’ Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien he-
ranziehen, wo es heißt: „Alles spricht dafür, daß man eine Zelle eines Tempels
vor sich habe. Der Name Matromania, den die Grotte führt und das Volk in
unbewußter Ironie in Matrimonio verdreht hat, als ob Tiberius in dieser Höhle
seine Hochzeiten vollzogen hätte, wird erklärt aus ,Magnae Matris AntrunT
oder aus ,Magnum Mithrae AntrunT. Man sagt, der Tempel sei dem Mithras
geweiht gewesen, nicht sowohl weil der persische Sonnengott in Höhlen ver-
ehrt wurde, als weil man in dieser Grotte eines jener Reliefs gefunden hat,
welche das Mithrasopfer darstellen ... Sie stellen Mithras in persischer Tracht
vor, knieend auf dem Stier, in dessen Hals er das Opfermesser stößt, während
Schlange, Skorpion und Hund den Stier verwunden“ (Gregorovius 1856, 360 f.,
zitiert nach KGW IV 4, 462).
74, 8-12 Dann, in der moralischen Epoche der Menschheit, opferte man seinem
Gotte die stärksten Instinkte, die man besass, seine „Natur“; diese Festfreude
glänzt im grausamen Blicke des Asketen, des begeisterten „Wider-Natürlichen“.]
M 18 argumentiert, man hätte sich gegenüber den als grausam vorgestellten
Göttern willfährig und demütig erweisen wollen, so dass „sich die Vorstellung
 
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