374 Jenseits von Gut und Böse
Genießenden mehr als für die Puritaner“ (NL 1884, KSA 11, 26[348], 241, 24-
26). Das ist auf Hippolyte Taines Geschichte der englischen Literatur gemünzt
(zu N.s Rezeption dieses Werkes allgemein Brobjer 2008a, 70-73). Bereits die
Puritaner in NL 1880, KSA 9, 1[73], 22, 25-28 sind nach dem Vorbild dieses
Werks modelliert (Taine 1878b-1880b, 1, 604); die auf die puritanische Gewis-
sensqual applizierte Folter-Metapher in NL 1884, KSA 11, 26[92], 174, 28-34
(vgl. NL 1885, KSA 11, 38[1], 596, 27-34) entlieh N. aus Taine 1878b-1880b, 1,
603 (mit Eselsohr markiert). Ebenso den inneren Menschen und die puritani-
sche Verworfenheit der armen Sünder in NL 1884, KSA 11, 26[261], 218, 15-20
(Taine 1878b-1880b, 1, 603 f.). Das quälende Gewissen gilt bei Taine wie bei N.
beispielsweise in NL 1885, KSA 11, 37[12], 587, 26 (KGW IX 4, W I 6, 57, 3) als
Hauptmovens puritanischer Frömmigkeit und puritanischer Lebensführung:
„Das Gewissen allein führt das Wort und die Gewissensunruhe hat sich allmä-
lig in Seelenangst verwandelt“ (Taine 1878b-1880b, 1, 602).
Für die Evokation der Puritaner in JGB 61 ist prägend, was Taine 1878b-
1880b, 1, 603 zur gesellschaftlichen Rolle der Puritaner anmerkt: „Eine außer-
ordentliche Stärke, eine großartige Triebfeder der Thatkraft bemächtigt sich
dieser Seelen und es giebt im moralischen Leben keine Schranken und in der
bürgerlichen Gesellschaft keine Einrichtungen, die ihrer anstürmenden Ener-
gie Stand halten könnten.“ Wenn JGB 61 den Aufstieg von zunächst „Be-
herrschten“ (80, 13) über zäheste Anstrengungen der Selbstdisziplinierung
schildert, dann ist die Folie dafür - bis hin zu dem bei Taine so beliebten, noch
nicht biologistisch verstandenen Rassenbegriff - der Aufstieg des Puritanismus
in England bis hin zum Commonwealth unter Cromwells Führung: Das purita-
nische Gewissen „ist beunruhigt und krank, aber äußerst pflichteifrig; es be-
achtet die geringsten Unterlassungen, lehnt sich gegen die Laxheit der weltli-
chen Moral auf, ist unerschöpflich an Geduld, Muth und Opferwilligkeit, for-
dert vom ehelichen Leben Keuschheit, von den Gerichten Gerechtigkeit, vom
Arbeiter Fleiß und zeigt überall den festen Willen, lieber alles zu erdulden und
zu thun, als von den Satzungen der Moral und der Bibel auch nur um Haares-
breite abzuweichen. Die begeisterte Phantasie erweckt die stoische Energie
und die eingewurzelte Rechtschaffenheit dieser Rasse zu neuem Leben und
veranlaßt die eisenfesten Charaktere, sich bedingungslos auf die Seite der Ent-
sagung und der Tugend zu schlagen. / Es bedarf nur noch eines Schrittes, um
diese große Bewegung von innen nach außen zu verlegen und die Privatsitten
zu öffentlichen Einrichtungen zu machen.“ (Taine 1878b-1880b, 1, 604) „Diese
bewunderns- und beklagenswerthe Pedanterie eines überängstlichen Gewis-
sens erzeugt zugleich Gläubige und Rechthaber und wird zuerst Märtyrer und
später Tyrannen hervorbringen. In der Zwischenzeit aber gehen aus ihr Streiter
hervor. Die puritanischen Klassen haben sich im Laufe von achtzig Jahren au-
Genießenden mehr als für die Puritaner“ (NL 1884, KSA 11, 26[348], 241, 24-
26). Das ist auf Hippolyte Taines Geschichte der englischen Literatur gemünzt
(zu N.s Rezeption dieses Werkes allgemein Brobjer 2008a, 70-73). Bereits die
Puritaner in NL 1880, KSA 9, 1[73], 22, 25-28 sind nach dem Vorbild dieses
Werks modelliert (Taine 1878b-1880b, 1, 604); die auf die puritanische Gewis-
sensqual applizierte Folter-Metapher in NL 1884, KSA 11, 26[92], 174, 28-34
(vgl. NL 1885, KSA 11, 38[1], 596, 27-34) entlieh N. aus Taine 1878b-1880b, 1,
603 (mit Eselsohr markiert). Ebenso den inneren Menschen und die puritani-
sche Verworfenheit der armen Sünder in NL 1884, KSA 11, 26[261], 218, 15-20
(Taine 1878b-1880b, 1, 603 f.). Das quälende Gewissen gilt bei Taine wie bei N.
beispielsweise in NL 1885, KSA 11, 37[12], 587, 26 (KGW IX 4, W I 6, 57, 3) als
Hauptmovens puritanischer Frömmigkeit und puritanischer Lebensführung:
„Das Gewissen allein führt das Wort und die Gewissensunruhe hat sich allmä-
lig in Seelenangst verwandelt“ (Taine 1878b-1880b, 1, 602).
Für die Evokation der Puritaner in JGB 61 ist prägend, was Taine 1878b-
1880b, 1, 603 zur gesellschaftlichen Rolle der Puritaner anmerkt: „Eine außer-
ordentliche Stärke, eine großartige Triebfeder der Thatkraft bemächtigt sich
dieser Seelen und es giebt im moralischen Leben keine Schranken und in der
bürgerlichen Gesellschaft keine Einrichtungen, die ihrer anstürmenden Ener-
gie Stand halten könnten.“ Wenn JGB 61 den Aufstieg von zunächst „Be-
herrschten“ (80, 13) über zäheste Anstrengungen der Selbstdisziplinierung
schildert, dann ist die Folie dafür - bis hin zu dem bei Taine so beliebten, noch
nicht biologistisch verstandenen Rassenbegriff - der Aufstieg des Puritanismus
in England bis hin zum Commonwealth unter Cromwells Führung: Das purita-
nische Gewissen „ist beunruhigt und krank, aber äußerst pflichteifrig; es be-
achtet die geringsten Unterlassungen, lehnt sich gegen die Laxheit der weltli-
chen Moral auf, ist unerschöpflich an Geduld, Muth und Opferwilligkeit, for-
dert vom ehelichen Leben Keuschheit, von den Gerichten Gerechtigkeit, vom
Arbeiter Fleiß und zeigt überall den festen Willen, lieber alles zu erdulden und
zu thun, als von den Satzungen der Moral und der Bibel auch nur um Haares-
breite abzuweichen. Die begeisterte Phantasie erweckt die stoische Energie
und die eingewurzelte Rechtschaffenheit dieser Rasse zu neuem Leben und
veranlaßt die eisenfesten Charaktere, sich bedingungslos auf die Seite der Ent-
sagung und der Tugend zu schlagen. / Es bedarf nur noch eines Schrittes, um
diese große Bewegung von innen nach außen zu verlegen und die Privatsitten
zu öffentlichen Einrichtungen zu machen.“ (Taine 1878b-1880b, 1, 604) „Diese
bewunderns- und beklagenswerthe Pedanterie eines überängstlichen Gewis-
sens erzeugt zugleich Gläubige und Rechthaber und wird zuerst Märtyrer und
später Tyrannen hervorbringen. In der Zwischenzeit aber gehen aus ihr Streiter
hervor. Die puritanischen Klassen haben sich im Laufe von achtzig Jahren au-