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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0395
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Stellenkommentar JGB 61, KSA 5, S. 80-81 375

ßerordentlich bereichert und vermehrt, wie auch nicht anders möglich bei ih-
rer Arbeitsamkeit, Redlichkeit, Abhärtung und Energie.“ (Ebd., 1, 606) Daran
schließen sich in Taines Darstellung umittelbar der Sturz des Königs (Char-
les I.) und die Errichtung der puritanischen Herrschaft an. Während für die
Puritaner der Aufstieg zur Macht nur ein (womöglich nicht einmal willkomme-
ner) Nebeneffekt ihrer unerbittlichen religiösen Überzeugung war, deutet JGB
61 diese soziale Aufwärtsmobilität zum eigentlichen Zweck um, der sich der
religiösen Überzeugung bloß als eines Mittels bedient.
80, 32-81, 3 Religion und religiöse Bedeutsamkeit des Lebens legt Sonnenglanz
auf solche immer geplagte Menschen und macht ihnen selbst den eigenen Anblick
erträglich, sie wirkt, wie eine epikurische Philosophie auf Leidende höheren Ran-
ges zu wirken pflegt, erquickend, verfeinernd, das Leiden gleichsam aus nüt-
zend, zuletzt gar heiligend und rechtfertigend.] Epikurs Philosophie stellt die
Vermeidung des Leidens ins Zentrum (vgl. auch NK 21, 12-17 u. JGB 270, KSA
5, 226,1-4). AC kontrastiert sie einerseits mit religiösem Obskurantismus (vgl.
NK KSA 6, 246, 18-23), hält sie andererseits für verwandt mit Jesu Leidens-
verwindungspraxis (vgl. NK KSA 6, 201, 12-18). Während zu Beginn von JGB
das Christentum als „Platonismus für’s ,Volk“‘ (KSA 5, 12, 33 f.) deklariert wor-
den ist, erscheint die Religion für die breite, leidende Masse jetzt als Epikureis-
mus fürs Volk (vgl. auch FW 370 u. NK KSA 6, 426, 7-19; zu N. und Epikur
Bornmann 1984; zu N. und Epikur im Horizont von Guyau Ansell-Pearson
2015).
81, 3-9 Vielleicht ist am Christenthum und Buddhismus nichts so ehrwürdig als
ihre Kunst, noch den Niedrigsten anzulehren, sich durch Frömmigkeit in eine hö-
here Schein-Ordnung der Dinge zu stellen und damit das Genügen an der wirkli-
chen Ordnung, innerhalb deren sie hart genug leben, — und gerade diese Härte
thut Noth! — bei sich festzuhalten.] Die disziplinierende Rolle bei der Aufrecht-
erhaltung der gesellschaftlichen „Ordnung“, die JGB 61 sowohl dem Christen-
tum als auch dem Buddhismus zuschreibt, steht in Kontrat zu AC 27, wo das
frühe Christentum ausdrücklich als Aufstand gegen die bestehende Ordnung
gilt (vgl. NK KSA 6, 198, 5-17), während sich der Buddhismus in AC 20-23
(KSA 6, 186-191) durch einen therapeutischen Umgang mit dem Leiden sehr
vorteilhaft vom Christentum unterscheidet. In der Fortsetzung der Kritik von
JGB 61 in JGB 62 werden Christentum und Buddhismus verunglimpft, weil sie
für die Leidenden Partei ergriffen (vgl. NK 81, 29-82, 4). Die sowohl christliche
als auch buddhistische Bereitschaft, die irdischen Gegebenheiten im Vertrauen
auf eine überirdische „Schein-Ordnung“ klaglos zu akzeptieren, wird auch von
N.s Hauptgewährsmann in Fragen des Buddhismus, Hermann Oldenberg, ent-
sprechend vermerkt: „Was es aber auch sein mag, der Buddhist ist fern davon,
 
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