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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0399
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Stellenkommentar JGB 62, KSA 5, S. 81-82 379

Ein Gefühl zusammenschmolzen.] Die Vorarbeit in KGW IX 1, N VII1, 39, 13-30
ist knapper und verzichtet auf die Expektoration zur „europäischen Rasse“:
„rWas war bisher die Aufgabe des Chr’s, wenn es nicht diese war:'' Die Leiden-
den zu trösten, rdas Unterdrückte'' den Schwachen Muth zu machen, die Un-
selbständigen führen, die Unmäßigen zur rEinkehr u"1 Zucht zu bringen, - aber
auch die Starken zu zerbrechen (nämlich rzum Allerwenigsten'' unsicher zu
machen), die großen Hoffnungen anzukränkeln, das große Glück ru die
Schönheit'' zu verdächtigen, ebenso die Schönheit, das Selbstvertrauen, die
männlichen ''stolzen'' herrschsüchtigen Instinkte: das war ''bisher'' die Aufgabe
des Christenthums.“ (Mit Lesefehlern auch mitgeteilt in KSA 14, 355).
82, 34-83,16 Gesetzt, dass man mit dem spöttischen und unbetheiligten Auge
eines epikurischen Gottes die wunderlich schmerzliche und ebenso grobe wie fei-
ne Komödie des europäischen Christenthums zu überschauen vermöchte, ich
glaube, man fände kein Ende mehr zu staunen und zu lachen: scheint es denn
nicht, dass Ein Wille über Europa durch achtzehn Jahrhunderte geherrscht hat,
aus dem Menschen eine sublime Missgeburt zu machen? Wer aber mit um-
gekehrten Bedürfnissen, nicht epikurisch mehr, sondern mit irgend einem göttli-
chen Hammer in der Hand auf diese fast willkürliche Entartung und Verkümme-
rung des Menschen zuträte, wie sie der christliche Europäer ist (Pascal zum Bei-
spiel), müsste er da nicht mit Grimm, mit Mitleid, mit Entsetzen schreien: „Oh
ihr Tölpel, ihr anmaassenden mitleidigen Tölpel, was habt ihr da gemacht! War
das eine Arbeit für eure Hände! Wie habt ihr mir meinen schönsten Stein verhau-
en und verhunzt! Was nahmt ihr euch heraus!“] In der Vorarbeit NL 1885/86,
KSA 12, 2[13], 72, 13-22 (entspricht KGW IX 5, W I 8, 263, 26-38) wird nur eine
Art Gott aufgerufen: „ich glaube, daß die commedia umana für einen epikuri-
schen Zuschauer-Gott darin bestehen müßte, daß die Menschen vermöge ihrer
wachsenden Moralität, in aller Unschuld und Eitelkeit sich vom Thiere zum
Range der ,Götter4 und zu überirdischen Bestimmungen zu erheben wähnen,
aber in Wahrheit sinken, das heißt durch Ausbildung aller der Tugenden,
vermöge deren eine Heerde gedeiht, und durch Zurückdrängung jener andren
und entgegengesetzten, welche einer neuen höheren stärkeren herrschaft-
lichen Art den Ursprung geben“. In 82, 34-83, 16 schließt sich dem als Zu-
schauer der menschlichen Komödie aufgerufenen Gott ein zweiter an, der als
ein mit dem „Hammer“ nicht bloß nachdenkender, sondern damit meißelnder
Gott, also als ein Menschen züchtender Gott vorgestellt wird: Dieser Gott ver-
körpert die überdimensionierte Projektion des Philosophen, dem nach JGB 61
die Züchtung, die Gestaltung des Menschen auferlegt ist. Das Philosophieren
mit dem Hammer, wie es GD programmatisch zum Titel macht (Götzen-Dämme-
rung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt, vgl. zur Hammer-Metapher
NK 6/1, S. 211-213 u. 217 f.), ist zwar kein die Menschen ex nihilo schaffendes
 
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