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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0407
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Stellenkommentar JGB 63, KSA 5, S. 85 387

aufgeführt - in einzelnen Sprüchen, die wie Sentenzen aus klassischen Dra-
men wirken (im Frühwerk hatte N. die Sentenzenträchtigkeit des Euripides
noch kritisiert, vgl. NK KSA 1, 77, 12-14). Das Vierte Hauptstück demonstriert
den im ÜK herausgestellten promissorischen und temptatorischen Charakter
von JGB in nuce: Die Leser sind den „Sprüchen und Zwischenspielen“ ausge-
setzt und müssen sich selbst dazu ins Verhältnis setzen - sie müssen sich
selbst darauf ihren Reim machen. Den Gipfel der andeutenden Verknappung
erreicht JGB in der Sammlung von „Sprüchen und Zwischenspielen“; damit
artikuliert diese Sammlung exemplarisch die Intention von JGB im Ganzen.

63.
85, 4 f. Wer von Grund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in Bezug auf seine
Schüler ernst, — sogar sich selbst.] Fast wortwörtlich findet sich diese Sentenz
bereits in NL 1882, KSA 10, 3[l]15O, 71, 5f. (dort „selber“ statt „selbst“). Den
Gedanken wieder aufgenommen hat N. in NL 1884/85, KSA 11, 31[52], 386, 6f.,
in einer Sammlung von Sprüchen, die er in Za IV Vom höheren Menschen und
Za IV Das Eselsfest verwertete. NL 1884/85, KSA 11, 32[9], 405,19-21 - ebenfalls
eine Vorarbeit für Za IV - bietet eine Variante mit einer unmissverständlichen
Wertung: „es giebt auch solche, die verdorben sind zum Erkennen, weil sie
Lehrer sind: sie nehmen nur um des Schülers Willen die Dinge ernst und sich
selber mit.“ Wenn JGB 63 wieder zum Wortlaut der ersten belegten Aufzeich-
nung zurückkehrt, wird die kritische Beurteilung ganz dem Leser überlassen,
der bei der Lektüre des Textes zunächst nicht weiß, ob die Perspektivierung
der „Dinge“ auf das Interesse der Schüler positiv oder negativ zu werten ist.
Zur Entstehungszeit der ursprünglichen Notiz verstand sich N. durchaus selbst
noch als Lehrer, zumindest war das sein Rollenverständnis im Verhältnis zu
Lou von Salome, gegenüber der es in einem Briefentwurf vor Mitte Dezember
1882 heißt: „Damals in Orta hatte ich bei mir in Aussicht genommen, Sie Schritt
für Schritt bis zur letzten Consequenz meiner Philosophie zu führen [...]! Ich
habe als Lehrer immer viel für meine Schüler gethan [...]. Ich habe nie daran
gedacht, Sie erst um Ihren Willen zu fragen“ (KSB 6/KGB III/l, Nr. 348, S. 296,
Z. 45-55). Stellen wie diese belegen, dass N. auch dann, wenn er sich als „Leh-
rer“ verstand, durchaus nicht prinzipiell gewillt war, „die Dinge“ bloß „um des
Schülers Willen“ ernstzunehmen, sondern den Schülern zu vermitteln, was er
selbst bereits für sich ernstgenommen hatte. Dass der emphatische Lehrer auch
sich selbst nur im Blick auf seine Schüler ernstnimmt, scheint N. allerdings
im Blick auf die erhoffte Schülerschaft Lou von Salomes keine wesensfremde
Erfahrung gewesen zu sein (vgl. zur „Vision“ eines neuen „Auf- und Ausblü-
 
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