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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0416
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396 Jenseits von Gut und Böse

se als Astronom. — So lange du die Sterne noch fühlst als ein ,Über-dir‘, fehlt
dir noch der Blick der Erkenntniß: für diese giebt es kein Über und Unter
mehr.“ Nach KGW VII4/1, 84 lautete die Überschrift in 3[1]256 statt „Der Weise
als Astronom“ ursprünglich: „Begeisterung“. Der Halbsatz „fehlt dir noch der
Blick der Erkenntniß“ ist korrigiert aus: „(1) bist du noch kein Erkennender (2)
hast du rnoch'' den Blick des der Erkenntniß“. Schließlich hat N. am Schluss
gestrichen: „sondern nur ein Außen und ein Innen“ (KGW VII 4/1, 84). Zu N.s
astronomischem Gewährsmann Angelo Secchi vgl. NK 117, 11-15.
JGB 71 und 3[1]256 spielen - abgesehen von der Anekdote über Thales, wie
er beim Sternenbeobachten in den Brunnen fällt (Platon: Theaitetos 174a) -
auf den „Beschluss“ von Immanuel Kants Kritik der praktischen Vernunft an:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewun-
derung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit
beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“
(AA V, 161, zu den poetologischen Konsequenzen dieser Anspielung siehe
Groddeck 1989, 495 f.) Erkenntnis wird in den Vorarbeiten zu JGB 71 ausdrück-
lich als außermoralisch qualifiziert, während die Pointe bei Kant gerade darin
bestand, die moralische und die physische Sphäre im Begriff der vom Subjekt
empfundenen Ehrfurcht aneinander zu koppeln. N. dürfte Kants Kritik der
praktischen Vernunft nie im Original studiert haben (er besaß überhaupt keine
Kant-Ausgabe). Gelesen hat er hingegen mit Sicherheit im Kant-Band von Kuno
Fischers Geschichte der neuern Philosophie, die die fragliche Stelle ausgiebig
zitiert, den Kontext paraphrasiert, um zu schließen: „Und nicht blos die Wir-
kungen, welche der Anblick des Himmels und die Idee des Sittengesetzes in
uns hervorrufen, findet der Philosoph vergleichbar, sondern auch die Wege
der Astronomie und Moral: jene hatte sich zur Sterndeutung, diese zur Schwär-
merei verirrt; die Gesetze des Weltbaues sind durch die Erkenntniß der bewe-
genden Naturkräfte entdeckt worden, die Gesetze der Sittlichkeit durch die
Scheidung des reinen Willens vom empirischen.“ (Fischer 1889, 2, 126. Das
Kant-Zitat auch in Fischer 1860, 2,182, jedoch noch ohne Fischers Kommentar.)
Diese Verquickung von Moral und Astronomie oder von Erkennen und Sollen
denunziert JGB 71 als typischen Irrweg der Philosophen. Vgl. ferner Grenke
2006.

72.
86,19 f. Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die
hohen Menschen.] Die frühere Fassung in NL 1882, KSA 10, 3[1]252, 83, 10-12
ist ausführlicher: „Nicht die Stärke, sondern die A n d a u e r der hohen Empfin-
dung macht die hohen Menschen: sie sollen nicht mit den Menschen der mora-
 
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