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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0432
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412 Jenseits von Gut und Böse

Den Zusammenhang von Spiel und Ernst bei N. untersucht exemplarisch
Djuric 1985, 164-166 u. 176; zu dem N. faszinierenden Heraklit-Fragment von
Gott als spielendem Kind siehe NK KSA 6, 208, 18-21.

95.
90,15 f. Sich seiner Unmoralität schämen: das ist eine Stufe auf der Treppe, an
deren Ende man sich auch seiner Moralität schämt.] In NL 1882, KSA 10, 3[1]299,
89, 14-16 ist es, bei sonstiger Textidentität, „eine Stufe auf dem Wege, an des-
sen Ende“ man sich „seiner Moralität schämt“. In ihrem populären Werk De
l’Allemagne hat Madame de Stael bemerkt, dass der öffentliche Nutzen dazu
führen könne, aus Moralität unmoralisch zu sein („L’utilite publique [...] pour-
rait conduire ä etre immoral par moralite“ - Stael 1839, 489. In der deutschen
Übersetzung, die sich in N.s Bibliothek erhalten hat, klingt die Stelle weniger
einschlägig: „Die öffentliche Nützlichkeit [...] könnte durch die Moralität zur
Immoralität führen“ - Stael 1815, 3,171). Bei N. hingegen unterbleibt jeder Hin-
weis auf allgemeine Nützlichkeit einer solchen Entwicklung. Türcke 2003, 31
notiert zu JGB 95, dass es für N.s „sogenannten Immoralismus [...] keine kürze-
re Formel“ gebe. Tatsächlich bietet die Sentenz auf knappstem Raum eine
Kurzgeschichte der Moral und ihrer Umwertung: Der in der abendländischen
Selbstherabsetzungsmoral Konditionierte schämt sich seiner Verfehlungen, die
er als Sündhaftigkeit, eben als habituelle „Unmoralität“ versteht. Dieses wache
moralische Bewusstsein ist indes die Bedingung dafür, dass die überkomme-
nen, kulturbestimmenden Wertungsweisen überhaupt mit der Zeit problema-
tisch werden können. Das moralische Bewusstsein wendet sich gemäß dieser
Sentenz nach und nach gegen die Moral selbst - man beginnt sich ihrer und
der mit ihr verbundenen Haltung, der Moralität, zu schämen.

96.
90, 18 f. Man soll vom Leben scheiden wie Odysseus von Nausikaa schied, —
mehr segnend als verliebt.] NL 1882, KSA 10, 3[1]327, 93, 6f. bietet den Gedanken
fast identisch („Man sollte“ statt „Man soll“, nach KGW VII 4/1, 93 korrigiert
aus: „Ich will“), nur mit leicht abweichender Orthographie und Interpunktion.
KGW VII 4/1, 93 weist freilich daraufhin, dass im Manuskript von 3[1]327 „seh-
nend“ statt „segnend“ zu stehen scheint.
Von der phäakischen Königstochter Nausikaa erzählt Homers Odyssee in
Buch 6. Sie soll mit ihren Freundinnen am Strand gespielt haben, als der schiff-
brüchige Odysseus auftauchte, dem sie furchtlos Nahrung und Kleidung gab,
 
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