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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0435
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Stellenkommentar JGB 100, KSA 5, S. 91 415

erst nach seinem Tode groß — durch den Widerhall.“ (Der erste Satz kehrt
wieder in NL 1883, KSA 10, 13[16], 464, 26; NL 1883, KSA 10, 16[7], 500, 3; NL
1883, KSA 10, 23[5], 638, 15f.; NL 1884/85, KSA 11, 31[35], 373, 9; NL 1884/85,
KSA 11, 31[36], 373, 24 und NL 1884/85, KSA 11, 32[10], 407, 9f.).
Die Geschichte der Nymphe Echo, die die Worte des Jünglings Narziss wie-
derholte, von diesem aber verschmäht wurde und deshalb auf alle Nahrung
verzichtete, bis nur noch jene Stimme übrigblieb, die die Felsen, in die sie
verwandelt wurde, noch heute zurückwerfen, war N. geläufig aus Ovid: Meta-
morphosen III 339-510. Dass es um den Widerhall des Echos freilich tückisch
bestellt sei, weil es nicht mehr Dauer verspreche als das Lob, hat etwa schon
Carl Julius Weber in seinem Reisehandbuch Deutschland, oder Briefe eines in
Deutschland reisenden Deutschen vermerkt: „Ich liebe die Echo — fuhr ich
fort — nicht gerade daß ich Nymphen liebte, dont le coeur a parle, die gleich
der Echo aus zehr en bis zu blossen Geistern — oder Weiber, die das
letzte Wort haben wollen, oder gar Männer, die blosser Nachhall An-
derer sind — sondern weil mir das Echo das schönste Bild des /333/
Ruhms und der Ehre ist [...]. — Im Ruhme liegt etwas Geistiges, daher
verfliegt er so leicht, und finden wir die rechte Stelle, die rechte Zeit und die
rechten Leute, oder auch nur die rechten Recensenten — so erschallet unser
Lob weit umher, verhallet aber bald wieder, wie die Nymphe, oder geht unter,
wie das Echo der Ruine von Derenberg und die Stimme des Predigers in der
Wüste!“ (Weber 1828, 3, 332f.).
100.
91, 8 f. Vor uns selbst stellen wir uns Alle einfältiger als wir sind: wir ruhen uns
so von unsern Mitmenschen aus.] NL 1882, KSA 10, 3[1], 77, 11 f. lautet: „Wir
stellen uns alle einfältiger als wir sind — und zwar auch vor uns selber.“ Nach
KGW VII 4/1, 79 hat N. das „auch“ nachträglich eingefügt.
In der christlichen Tradition wurde die Einfalt (dnAoTpc;) oder die „Einfäl-
tigkeit eures Herzens“ (Epheser 6, 5 - Die Bibel: Neues Testament 1818, 235)
als Schlichtheit, Unschuld und Wahrheitsempfänglichkeit gerühmt (vgl. Mat-
thäus 6, 22: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht seyn.“
Die Bibel: Neues Testament 1818, 9). Sie lebte im Pietismus wieder auf. Der
negative Beiklang von Unbedarftheit und Dummheit ist der Einfalt allerdings
bereits in der Barockzeit eingeschrieben (vgl. Grimm 1854-1971, 3, 173). Wer
sich sich selbst gegenüber als „einfältig“ darstellt, suggeriert damit eine Ein-
fachheit und Lauterkeit, die die wahren inneren Abgründe überspielt und die
innere Komplexität verdeckt. Sich die eigene Einfachheit vorgaukeln zu kön-
nen, ist erholsam.
 
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