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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0454
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434 Jenseits von Gut und Böse

N. hat sich am 29. 01.1873 den ersten Band von Hamanns Schriften und Briefen
in der Ausgabe von Moritz Petri aus der Basler Universitätsbibliothek entlie-
hen, vgl. Crescenzi 1994, 419 u. 422. Auch dort findet sich der zitierte Passus:
Hamann 1872, 1, 126.). Eine solche Rettung Gottes als Schriftsteller konnte N.
nur ironisch glossieren.
Kreibig 1896,130 bezieht den Spott in JGB 121 auf das angebliche „Dogma,
dass das schlecht griechisch geschriebene Evangelium Johannis unmittelbare
Offenbarung Gottes sei“. Bekanntlich schildert der Prolog des Johannesevange-
liums die Fleischwerdung des Logos, des Wortes, d.h. die Menschwerdung
Christi. Bezieht man JGB 121 direkt darauf, so wäre es wohl ein minderwertiger
Gott - „verlogen wie ein Grieche“ (vgl. z. B. Marcus Tullius Cicero: Pro Flacco
9) -, der sich in einem so schlechten Griechisch inkarnierte - aber doch immer-
hin in einer Sprache, die damals von (fast) jedermann hat verstanden werden
können.

122.
94, 15-17 Sich über ein Lob freuen ist bei Manchem nur eine Höflichkeit des
Herzens — und gerade das Gegenstück einer Eitelkeit des Geistes.] Beide Optio-
nen, weshalb man sich über ein Lob freuen kann, hält NL1882, KSA10, 3 [1]421,
104,13 f. gleichwertig offen: „Sich über ein Lob freuen ist bei diesen eine Eitel-
keit des Geistes, bei jenen ein Merkmal von Höflichkeit des Herzens.“ N. hat
dies korrigiert aus: „Sich über ein Lob freuen ist ''vielmehr'' ein Merkmal von
Höflichkeit des Herzens als von Eitelkeit des Geistes“ (KGW VII 4/1, 104), am
Ende aber die ganze Aufzeichnung gestrichen. JGB 122 greift also die ursprüng-
lichste Version des Gedankens wieder auf, fügt aber noch hinzu, dass die Freu-
de nur „bei Manchem“ aus Herzenshöflichkeit entspringe.
Die Wendung „Höflichkeit des Herzens“ kommt bei N. häufig vor, bei-
spielsweise in MA I 49, KSA 2, 69, 24; JGB 245, KSA 5, 187, 6; AC 57, 244, 23 u.
EH Warum ich so weise bin 5, KSA 6, 271, 22 f. Sie stammt aus „Ottiliens Tage-
buch“ in Goethes Wahlverwandtschaften, vgl. NK KSA 6, 244, 23. Die bei N. nur
in 3[1]421 sowie JGB 122 belegte Wendung „Eitelkeit des Geistes“ ist die deut-
sche Variante der christlich verpönten vanitas Spiritus und kommt gelegentlich
in theologischem Kontext auch auf Deutsch vor (z. B. bei N.s Basler Kollegen
Karl Rudolf Hagenbach, vgl. Hagenbach 1872, 7/2, 426). Im ersten deutschen
Buch über Frauenemanzipation wurde bereits konstatiert: „In unsern Zeiten
hat die Eitelkeit des Geistes, der Gelehrsamkeit, erst recht überhand genom-
men“ ([Brandes] 1787, 163); und sie werde inbesondere von Frauen als Macht-
mittel eingesetzt.
 
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