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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0465
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Stellenkommentar JGB 134, KSA 5, S. 96 445

Fassung NL 1883, KSA 10, 22[3], 622, 4-6: „Wer den Weg zu seinem Ziele nicht
zu finden wußte, lebt frecher und leichtsinniger als der, welcher gar kein Ziel
hat: er will seinen Verlust verscherzen und verschmerzen.“ Über weitere Bear-
beitungsstufen wird daraus ein Teil der Antwort Zarathustras auf den Schatten
in Za IV Der Schatten, KSA 4, 341,18-20: „Du hast das Ziel verloren: wehe, wie
wirst du diesen Verlust verscherzen und verschmerzen? Damit — hast du auch
den Weg verloren!“
Bereits Schiller hat in den Briefen Ueber die ästhetische Erziehung des Men-
schen (Brief 27) den „Weg zum Ideale“ gegen den „Weg zur Wirklichkeit“ ausge-
spielt und damit den „Weg zum Ideale“ in den Status eines Bonmot erhoben:
„Dem selbstständigen Schein nachzustreben, erfordert mehr Abractionsvermö-
gen, mehr Freiheit des Herzens, mehr Energie des Willens, als der Mensch nö-
thig hat, um sich auf die Realität einzuschränken, und er muß diese schon
hinter sich haben, /247/ wenn er bei jenem anlangen will. Wie übel würde er
sich also rathen, wenn er den Weg zum Ideale einschlagen wollte, um sich den
Weg zur Wirklichkeit zu ersparen!“ (Schiller 1844, 10, 246 f.).
134.
96,16 f. Von den Sinnen her kommt erst alle Glaubwürdigkeit, alles gute Gewis-
sen, aller Augenschein der Wahrheit.] Im Nachlass sind zu diesem Abschnitt
keine vorbereitenden Notizen überliefert. GD Die „Vernunft“ in der Philosophie
3 unterstreicht dieses scheinbare Plädoyer für eine sensualistische Erkenntnis-
konzeption noch einmal: „Wir besitzen heute genau so weit Wissenschaft, als
wir uns entschlossen haben, das Zeugniss der Sinne anzunehmen“ (KSA 6,
76, 1-3). Analoge sensualistisch-empiristische Auffassungen konnte N. bei-
spielsweise bei Rolph 1884, 1 („Jede Erkenntniss beruht auf sinnlicher Wahr-
nehmung“) und Nägeli 1884, 578 f. finden (vgl. die Zitate in NK KSA 6, 76, 1-
3). Entsprechend neigen systematisch interessierte, namentlich amerikanische
N.-Forscher dazu, JGB 134 als Bekenntnis zu einem „expliziten Empirismus“
(Leiter 2002, 13) zu verstehen, siehe die Nachweise bei Dellinger 2012c, 161.
Martin Heidegger hingegen hat sich JGB 134 zu einer Seminarvorbereitung no-
tiert und besorgt glossiert: „Von den Sinnen her! Wie das? Was geben die Sinne
und wie?“ (Heidegger 2007, 87, 241).
Die Frage erhebt sich, ob die Aussage von JGB 134 tatsächlich so eindeutig
pro-sensualistisch ist. Das „gute Gewissen“ war bei N. kaum das Ziel philoso-
phischer Anstrengung, und der „Augenschein der Wahrheit“ sollte nicht mit
der Wahrheit selbst verwechselt werden; beispielsweise gibt NL 1885, KSA 11,
34[217], 495, 1-3 (entspricht KGW IX 1, N VII 1, 1-3) zu bedenken: „NB. Wir
stehen mitten drin zu entdecken, daß der Augenschein und die nächste beste
 
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