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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0489
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Stellenkommentar JGB 158, KSA 5, S. 100 469

nen nicht weiter zu bekämpfen, sondern gewähren, herrschen zu lassen. Zwei
Quellen kommen als Inspirations- und Reibungsquelle für N.s Abgrenzungsbe-
mühung besonders in Frage, nämlich die von ihm intensiv studierte Phänome-
nologie des sittlichen Bewusstseins von Eduard von Hartmann sowie die Diatri-
ben des Epiktet, für deren unmittelbare Lektüre es bei N. bislang allerdings
keinen Beleg gab (siehe Brobjer 2003b, 430). Hartmann identifiziert - und da-
mit gibt er dem bei N. beschriebenen Phänomen einfach einen anderen Na-
men - den Egoismus mit der despotischen Seelenmacht: „Das Ich und die Gier,
alles diesem Ich dienstbar zu machen, ist der schlimmste aller inneren Tyran-
nen, schlimmer noch als die Rohheit und Wildheit der einzelnen unreflectirten
Leidenschaften, denn aus der Maxime, die Förderung des Ich zum Bewusst-
seinsziel alles Denkens und Handelns zu setzen, entspringt bei ungünstiger
Charakteranlage jene systematische und raffinirte Unsittlichkeit, welche nicht
mehr wie die Unsittlichkeit des unmittelbaren Affects von der Selbstbeherr-
schung bekämpft werden kann, weil sie die Selbstbeherrschung in ihren eige-
nen Dienst nimmt.“ (Hartmann 1879, 431) Hartmann malt dann aus, zu wel-
chen Verbrechen es führt, wenn man „sein Steckenpferd“ (ebd.) absolut setzt
und ihm alle Sittlichkeit aufopfert. „So muss der Egoismus, wo er zum bewuss-
ten Ziel alles Handelns, zum Princip und zum Herrn der Selbstbeherrschung
sich erhoben hat, als der furchtbarste Tyrann der Seele betrachtet werden, der
sie sogar ihres Streiters für das Gute beraubt, und die Befreiung von diesem
Tyrannen muss als conditio sine qua non aller Sittlichkeit anerkannt werden.“
(Ebd., 432) Diese Auffassung bietet den genauen Gegensatz zu der bei N. propa-
gierten Treue gegenüber der eigenen „Aufgabe“, die Hartmann als Ausgeburt
des Egoismus erscheinen müsste.
Einen anderen Akzent setzte Epiktet, als er von „Tyrannen in uns“ sprach:
Für ihn war es im Geschäft der philosophischen Selbstbefreiung nicht entschei-
dend, äußere Tyrannen zu stürzen, sondern vielmehr die inneren - die fal-
schen Ansichten und Leidenschaften: „Wie wird also die Veste bezwungen?
Nicht durch Eisen, nicht durch Feuer, sondern durch Ansichten; denn wenn
wir auch die in der Stadt niederreissen, reissen wir auch die des Fiebers nie-
der? auch die der schönen Weiberchen? kurz, auch die Veste in uns, und haben
wir uns auch der Tyrannen in uns entledigt? die wir täglich über uns haben,
bald dieselben, bald andere (neue)? Aber von hier muss man beginnen, von
hier die Veste niederreissen, die Tyrannen verjagen [...]. Ich aber wurde noch
nie wollend gehindert oder nicht wollend gezwungen. Und wie ist das mög-
lich? Ich habe mein Entschliessen Gott untergeordnet“ (Epiktetos 1866, 312; in
dem von N. durchgearbeiteten Epiktet-Kommentar von Simplikios kommt der
Tyrann nur einmal, und zwar im wörtlichen Sinne vor: Simplikios 1867, 27).
Epiktet empfiehlt also ebenfalls, sich der inneren Tyrannen zu entledigen, ob-
 
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