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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0492
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472 Jenseits von Gut und Böse

tern und Verrätern erinnert an Platons berüchtigte Dichterkritik (vgl. Politeia
376c-398b und 595a-608b), der zufolge die Dichter nur Nachahmer von Nach-
ahmungen der Ideen und damit Verräter der Wahrheit sind (zu N.s Bezug auf
Platons Dichterkritik allgemein vgl. z. B. Lossi 2006,144-152; zu anderen Plato-
nischen Motiven in JGB siehe Ghedini 2011, 173-236). JGB 160 scheint auf den
ersten Blick den Verzicht auf Erkenntnismitteilung anzuraten - einen Verzicht,
der wiederum an den Platon gemeinhin attestierten, esoterischen Standpunkt
erinnert, wonach es neben der exoterisch in Dialogen (einem Lesepublikum)
zugänglich gemachten Reflexionsarbeit noch geheime, eigentliche, unge-
schriebene Lehren, aypacpa ööypotTa Platons gegeben habe (vgl. Aristoteles:
Physik 209b 13-15), in die nur engste Schüler eingeweiht gewesen sein sollen.
Manche Interpreten im Gefolge von Leo Strauss (vgl. Strauss 1983) sehen in
JGB insgesamt eine esoterische Strategie am Werk (vgl. z. B. Lampert 2001, 4f.
u. ö.), benutzen JGB 160 aber gerade nicht als locus probans - vielleicht, weil
das explizite Heranziehen dieser Sentenz die eigene, straussianische Arkan-
disziplin verletzen könnte. Wird in JGB 160 ein Generalvorbehalt gegenüber
Mitteilbarkeit überhaupt und damit eine radikale Sprachkritik zur Sprache ge-
bracht, die N. andernorts explizit ausführt? Vgl. dazu NK KSA 6, 128, 21-26,
zum Problem der Mitteilung auch Hofmann 1994, 151 f.
Indes ist bei JGB 160 auch eine ganz andere Lesart denkbar, dass es näm-
lich geboten sei, seiner Erkenntnis nicht mit Liebe, sondern mit Misstrauen zu
begegnen, weshalb es angezeigt erscheint, sie mitzuteilen, um ihr die Emanzi-
pation von der Liebe des Erkenntnisproduzenten und damit die Bewährung im
Stahlbad des Misstrauens anderer (der Leser) zu ermöglichen. Dann wäre die
Sentenz nachgerade ein Bekenntnis zu einer exoterischen Kundgabe aller Ein-
sichten um solcher Feuerprobe willen. Endlich kann man in JGB 160 auch eine
Antwort auf die drei Sätze erkennen wollen, die Gorgias in seiner Schrift Über
die Natur oder über das Nichtseiende beweisen wollte: „1) es ist nichts; 2)
wenn etwas ist, so ist es doch unerkennbar; 3) wenn es auch erkennbar ist,
lässt es sich doch durch die Rede nicht mittheilen.“ (Zeller 1869, 1, 900, vgl.
die antiken Berichte bei Sextus Empiricus: Adversus mathematicos VII 65-87
sowie Pseudo-Aristoteles: De Melisso, Xenophane et Gorgia 5-6, 979a-980b.)
Im Unterschied zur radikalen Mitteilungsskepsis des Gorgias insinuiert JGB 160
indes nicht, dass Mitteilung von Erkenntnis gänzlich unmöglich sei.
161.
101, 2 f. Die Dichter sind gegen ihre Erlebnisse schamlos: sie beuten sie aus.] Mit
demselben Wortlaut steht die Sentenz schon in NL 1882, KSA 10, 3[1]193, 76,
3f. und ist damit bereits dort jenen Notaten 3[1]191 u. 3[1]194 benachbart, aus
 
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