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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0494
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474 Jenseits von Gut und Böse

JGB 162 konterkariert das jüdisch-christliche Gebot der Nächstenliebe (vgl.
NK 79, 2-13), das sich bereits in Leviticus 19, 18 explizit formuliert findet: „Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Vgl. z. B. Matthäus 22, 39; Mar-
kus 12, 31 u. Galater 5, 14.) Unter den altdeutschen Sprichwörtern ist dazu die
warnende Variation überliefert: „Liebe deinen Nachbarn, reiß aber den Zaun
nicht ein.“ (Simrock 1863, 5, 390) Die folgenden Verse aus Friedrich Rückerts
Lehrgedicht Die Weisheit des Brahmanen könnten N. auch im Ohr gewesen
sein: „Der stärkst’ in gutem Rath, zu guter That der schwächste, / Der, wenn
sein Nachbar ruft, sagt: ich bin mir der nächste. // Ruft er den Nachbar einst,
vergelt’ ihm der die List, / Und sage: hilf dir selbst, weil du dein Nächster bist.“
(Rückert 1839, 5, 25) JGB 162 pointiert den Diskurs zu Nachbar- und Nächsten-
liebe mit einer politischen Ironisierung, angelehnt an die Vorstellung, der
Feind meines Feindes sei mein Freund.
Seinen Artikel über den ethischen Aspekt der Liebe in der zweiten Auflage
des Standardlexikons Die Religion in Geschichte und Gegenwart widmete der
evangelische Theologe Otto Baumgarten zu mehr als der Hälfte der in N.s Werk
begegnenden Polemik gegen das christliche Liebesverständnis, der er trotz
mancher Vorbehalte Einiges abzugewinnen vermochte: „So kann Nietzsches
Kritik nur willkommen geheißen werden als Förderin im Kampf für ungefärbte,
mit kräftigem Selbst- und Ehr- und Rechtsgefühl einige Nächstenliebe. Auch
daß er gegen diesen Titel einwirft: ,Unser Nächster ist nicht unser Nachbar,
sondern dessen Nachbar -, so denkt jedes Volk4, gibt zu denken. Es ist deshalb
als wesentlich zu bezeichnen, dass die L[iebe] nicht die weite Welt unter-
schiedslos umarmt, sondern zu Hause, im lokal nächsten Kreis die Erprobung
ihrer Wahrhaftigkeit beginnt und als »Nächste4 wesentlich die einbezieht, auf
die sie mit tätigem Wohlwollen zu wirken berufen ist: ,Und in der Bruderliebe
die allgemeine Liebe.4“ (Baumgarten 1929, 1643. Schlusszitat nach 2. Petrus 1,
7).
163.
101, 7-9 Die Liebe bringt die hohen und verborgenen Eigenschaften eines Lie-
benden an’s Licht, — sein Seltenes, Ausnahmsweises: insofern täuscht sie leicht
über Das, was Regel an ihm ist] Textlich waren die Vorfassungen von JGB 163
verquickt mit denjenigen von JGB 79, vgl. NK 88, 2f. und die dort mitgeteilten
Notate.

164.
101, 11-13 Jesus sagte zu seinen Juden: „das Gesetz war für Knechte, — liebt
Gott, wie ich ihn liebe, als sein Sohn! Was geht uns Söhne Gottes die Moral
 
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