Stellenkommentar JGB 172, KSA 5, S. 102 481
zudringlicher als alles Tadeln?“ Schließlich werden die blutrünstigen „Fliegen
des Marktes“ in Za I Von den Fliegen des Marktes zu solchen gefährlich-zu-
dringlichen Lobhudlern: „Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudring-
lichkeit ist ihr Loben. Sie wollen die Nähe deiner Haut und deines Blutes.“
(KSA 4, 67, 14 f.).
Die Warnung vor „Zudringlichkeit“ durchzieht Baltasar Graciäns Hand-
Orakel in Schopenhauers Übersetzung (vgl. z. B. Gracian 1877, 21, 100, 182 u.
203). In populären zeitgenössischen Zeitschriften ist zumindest die eine Hälfte
der Überlegung von JGB 170 und Za I Von den Fliegen des Marktes eher haus-
backen-moralisch ebenfalls präsent; ohne expliziten Bezug auf Za I oder eine
andere Quelle etwa in einem anonymen Artikel Gesellschaftliche Streifzüge des
Salons für Literatur, Kunst und Gesellschaft: „Lob ins Gesicht hat immer etwas
verletzendes. [...] Von nicht unnöthig bescheidenen, aber natürlich fühlenden
Menschen wird solches in Gegenwart anderer ertheiltes Lob als beleidigende
Zudringlichkeit unangenehm empfunden“ (Anonym 1884, 108).
171.
102,13 f. Mitleiden wirkt an einem Menschen der Erkenntniss beinahe zum La-
chen, wie zarte Hände an einem Cyklopen.] In NL 1882, KSA 10, 3[l]410,103, 8f.
lautete eine erste, von N. dann durchgestrichene Version des Gedankens: „Mit-
leid wirkt an dem Erkennenden beinahe zum Lachen, wie zarte Haut an einem
Riesen.“ Wie es um das Mitleiden großer Individuen bestellt ist, thematisieren
auch spätere Notate - wobei das Erkennen der Größe weicht und das komische
Moment entfällt: „Das Mitleiden des Größten ist hart, gleich dem Händedruck
des Riesen.“ (NL 1883, KSA 10, 17[13], 537, 19 f., sehr ähnlich in NL 1883, KSA
10, 22[3], 625,13f.) Noch in NL 1888, KSA 13, 20[24], 553, 4-6 wird an die Härte
des Mitleids und des Händedrucks bei einem „Riesen“ erinnert.
JGB 171 ist die Kontrafaktur der auf den Titelhelden von Richard Wagners
Parsifal gemünzten Formel: ,„durch Mitleid wissend / der reine Thor / harre
sein’, / den ich erkor“4 (Wagner 1877, 17 f. u. 31 = Wagner 1907, 10, 333 u. 342).
Der Erkennende bei N. ist das genaue Gegenteil des reinen Toren Parsifal: Wäh-
rend dieser durch das Mitleid wissend wird, droht der Erkennende bei N. durch
das Mitleid zu einer lachhaften Figur, zum Toren zu werden. Mitleid steht hier
im Gegensatz zur Erkenntnis, die für Wagner durch das Mitleid erst geweckt
wird.
172.
102, 16-18 Man umarmt aus Menschenliebe bisweilen einen Beliebigen (weil
man nicht Alle umarmen kann): aber gerade Das darf man dem Beliebigen nicht
zudringlicher als alles Tadeln?“ Schließlich werden die blutrünstigen „Fliegen
des Marktes“ in Za I Von den Fliegen des Marktes zu solchen gefährlich-zu-
dringlichen Lobhudlern: „Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudring-
lichkeit ist ihr Loben. Sie wollen die Nähe deiner Haut und deines Blutes.“
(KSA 4, 67, 14 f.).
Die Warnung vor „Zudringlichkeit“ durchzieht Baltasar Graciäns Hand-
Orakel in Schopenhauers Übersetzung (vgl. z. B. Gracian 1877, 21, 100, 182 u.
203). In populären zeitgenössischen Zeitschriften ist zumindest die eine Hälfte
der Überlegung von JGB 170 und Za I Von den Fliegen des Marktes eher haus-
backen-moralisch ebenfalls präsent; ohne expliziten Bezug auf Za I oder eine
andere Quelle etwa in einem anonymen Artikel Gesellschaftliche Streifzüge des
Salons für Literatur, Kunst und Gesellschaft: „Lob ins Gesicht hat immer etwas
verletzendes. [...] Von nicht unnöthig bescheidenen, aber natürlich fühlenden
Menschen wird solches in Gegenwart anderer ertheiltes Lob als beleidigende
Zudringlichkeit unangenehm empfunden“ (Anonym 1884, 108).
171.
102,13 f. Mitleiden wirkt an einem Menschen der Erkenntniss beinahe zum La-
chen, wie zarte Hände an einem Cyklopen.] In NL 1882, KSA 10, 3[l]410,103, 8f.
lautete eine erste, von N. dann durchgestrichene Version des Gedankens: „Mit-
leid wirkt an dem Erkennenden beinahe zum Lachen, wie zarte Haut an einem
Riesen.“ Wie es um das Mitleiden großer Individuen bestellt ist, thematisieren
auch spätere Notate - wobei das Erkennen der Größe weicht und das komische
Moment entfällt: „Das Mitleiden des Größten ist hart, gleich dem Händedruck
des Riesen.“ (NL 1883, KSA 10, 17[13], 537, 19 f., sehr ähnlich in NL 1883, KSA
10, 22[3], 625,13f.) Noch in NL 1888, KSA 13, 20[24], 553, 4-6 wird an die Härte
des Mitleids und des Händedrucks bei einem „Riesen“ erinnert.
JGB 171 ist die Kontrafaktur der auf den Titelhelden von Richard Wagners
Parsifal gemünzten Formel: ,„durch Mitleid wissend / der reine Thor / harre
sein’, / den ich erkor“4 (Wagner 1877, 17 f. u. 31 = Wagner 1907, 10, 333 u. 342).
Der Erkennende bei N. ist das genaue Gegenteil des reinen Toren Parsifal: Wäh-
rend dieser durch das Mitleid wissend wird, droht der Erkennende bei N. durch
das Mitleid zu einer lachhaften Figur, zum Toren zu werden. Mitleid steht hier
im Gegensatz zur Erkenntnis, die für Wagner durch das Mitleid erst geweckt
wird.
172.
102, 16-18 Man umarmt aus Menschenliebe bisweilen einen Beliebigen (weil
man nicht Alle umarmen kann): aber gerade Das darf man dem Beliebigen nicht