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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0509
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Stellenkommentar JGB 180, KSA 5, S. 103 489

jemandem oder etwas (z. B. das Glück oder die Gelegenheit) am Schopf, also
bei den Haaren / am Haupthaar zu ergreifen. Besonders beliebt war die Vorstel-
lung, dass sich niemand am eigenen Schopfe aus der Grube ziehen könne
(Wander 1867-1880, 4, 325), mit Ausnahme des Barons von Münchhausen, auf
dessen einschlägig bekannte Fähigkeit JGB 21, KSA 5, 35, 19-22 explizit Bezug
nimmt.
Djuric 1985, 136 hält den in JGB 179 ausgedrückten Gedanken, dass die
Effekte des Handelns auf den Handelnden zurückwirken, für „eine sehr wichti-
ge These“ N.s und unterstreicht die von N. bei anderer Gelegenheit herausge-
stellte Kraft der Handlung, den Handelnden zu verändern und zu formen. JGB
179 macht über diese von Djuric betonte allgemeine These hinaus auf die Diver-
genz der Persönlichkeitsentwicklung und der häufig verspäteten Konsequenz
einer Handlung aus einer früheren Lebensphase aufmerksam: Dass die Hand-
lung auf den Handelnden verzögerte Rückkoppelungseffekte zeitigt, ist trivi-
al - Handlungen wirken -, nicht aber die Beobachtung, dass diese Rückkop-
pelungseffekte mitunter den »Falschen4 treffen, nämlich einen mittlerweile
ganz anderen Menschen als den ursprünglich Handelnden.
180.
103, 20 f. Es giebt eine Unschuld in der Lüge, welche das Zeichen des guten
Glaubens an eine Sache ist] Vgl. NL 1882, KSA 10, 3[1]82, 63, 11 f.: „Die Un-
schuld der Lüge ist das Zeichen des guten Glaubens an eine Sache.“ Sehr ähn-
lich lautet NL 1883, KSA 10, 22[3], 623, If. In einem Plädoyer für das Bejahen
des Lebens, das das Bejahen der Lüge impliziere, beklagt NL 1884, KSA 11,
25[101], 37, 14, dass „die Unschuld der Lüge [...] dahin“ sei (vgl. auch NL 1884,
KSA 11, 28[20], 305, 14; NL 1884/85, KSA 11, 29[1], 335, 13; NL 1884/85, KSA
11, 31[49], 383, 2; NL 1884/85, KSA 11, 32[8]29, 403, 10). Schließlich bedauert
Zarathustras Schatten, „jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die Un-
schuld der Guten und ihrer edlen Lügen“ verloren zu haben (Za IV Der Schat-
ten, KSA 4, 340,15-17, dazu KGW VI4, 651). Dabei bezieht sich diese Unschuld
auf das bisher für gut Gehaltene und auf den ,,Glaube[n] an die Guten“. In der
herkömmlichen Moral galt die Lüge als verwerflich - im Gestus der Überbie-
tung tut der Immoralist demgegenüber diese herkömmliche Moral in globo als
Lüge ab (vgl. z. B. NK KSA 6, 102, 13-16 u. NK KSA 6, 208, 10). Der immoralis-
tisch Unaufgeklärte kann an diese Lüge der Moral noch unschuldig glauben;
nach entsprechender Aufklärung ist diese Unschuld dahin (vgl. auch Behler
1975, 11 f.; Zittel 1995, 63 u. Zittel 2000, 238).
Die Formulierung „Unschuld der Lüge“ hat in polemischer Absicht der Phi-
losoph Karl Rosenkranz in seinem anlässlich der preußischen Krönungsfeier
 
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