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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0533
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Stellenkommentar JGB 190, KSA 5, S. 111 513

will sich selbst Schaden thun, daher geschieht alles Schlechte unfreiwillig. Denn
der Schlechte fügt sich selbst Schaden zu: das würde er nicht thun, falls er wüss-
te, dass das Schlechte schlecht ist. Demgemäss ist der Schlechte nur aus einem
Irrthum schlecht; nimmt man ihm seinen Irrthum, so macht man ihn notwendig —
gut.“] Niemand wolle, heißt es in Platons Apologie des Sokrates 25e-26a, ab-
sichtlich sich selber schaden. Im Gespräch mit Menon bemüht sich Sokrates
um den Nachweis, dass niemand das Schlechte als Schlechtes wolle, sondern
nur, weil er unwissentlich das Schlechte für das Gute halte (Platon: Menon
77b-78b). In Protagoras 345d-e steht in der Übersetzung Schleiermachers: „Ich
wenigstens glaube dieses, daß kein weiser Mann der Meinung ist, irgend ein
Mensch fehle aus freier Wahl, oder vollbringe irgend etwas Böses und Schlech-
tes aus freier Wahl, sondern sie wissen wohl, daß alle, welche Böses und
Schlechtes tun, es unfreiwillig tun.“ Vgl. auch Platon: Gorgias 5O9e.
111, 7 f. das nicht eigentlich zu Plato gehört, sondern sich nur an seiner Philoso-
phie vorfindet] Aus der Reinschrift teilt KSA 14, 358 dazu folgende Variante mit:
„das ich die sokratische niaiserie par excellence nennen möchte: denn sie ge-
hört nicht eigentlich zu Plato, sondern findet sich in seiner Philosophie vor“.
111, 15-22 Diese Art zu schliessen riecht nach dem Pöbel, der am Schlecht-
handeln nur die leidigen Folgen in’s Auge fasst und eigentlich urtheilt „es ist
dumm, schlecht zu handeln“; während er „gut“ mit „nützlich und angenehm“
ohne Weiteres als identisch nimmt. Man darf bei jedem Utilitarismus der Moral
von vornherein auf diesen gleichen Ursprung rathen und seiner Nase folgen: man
wird selten irre gehn.] Während Platon für Vornehmheit steht (vgl. 111, 10), gilt
Sokrates als Repräsentant des „Pöbels“, womit die Sokrates-Kritik aus N.s
Frühschriften fortgesetzt wird. In Leckys Sittengeschichte Europas hat N. eine
Passage aufmerksam studiert, markiert und dort mit „falsch“ am Rande quit-
tiert, in der die „Utilitarier“ mit der „platonischen Lehre“ in Verbindung ge-
bracht werden: „Es ist eine sehr alte Behauptung, dass, wenn ein Mensch auf
kluge Weise sein eigenes Interesse verfolgte, er ein Leben vollkommener Tu-
gend führen würde. Zu dieser Meinung bekennen sich die meisten derjeniger
Utilitarier, welche am wenigsten geneigt sind, religiösen Beweggründen ein
grosses Gewicht beizulegen; und da sie behaupten, dass jeder Mensch noth-
wendiger Weise seine eigene Glückseligkeit erstrebt, so kommen wir auf einem
anderen Wege zu der alten platonischen Lehre zurück, dass alles Laster Unwis-
senheit ist. /12/ Tugend ist demnach ein wohlüberlegtes, und Laster ein un-
überlegtes Streben nach Vergnügen. Tugend ist ein Sprössling der Klugheit,
Laster nichts mehr, als Unklugheit oder falsche Berechnung“ (Lecky 1879, 1,
11 f.; zum Nachweis der Quelle siehe Fornari 2009, 191, Fn. 57, die überdies
auf Ölzelt-Newin 1883, 24 verweist). JGB 190 reduziert Leckys „Utilitarier“ auf
 
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