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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0598
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578 Jenseits von Gut und Böse

gen war sogar Hellwald, wie sein Römer- und Germanenbeispiel zeigt, noch
bereit, die Nützlichkeit der Verbindung für die humane Entwicklung anzuer-
kennen. Das tat N. an anderer Stelle durchaus auch, als er seine Züchtungs-
ideen entwickelte. JGB 208 bedient mit dem unbestimmten Verdacht, „Rassen-
mischung“ sei schädlich, aber vor allem ein wohlfeiles rassistisches Ressenti-
ment - ganz abgesehen davon, dass dieser Text (wie Hellwald) den Beweis
schuldig blieb, dass „Rassenmischung“ überhaupt irgendeinen entwicklungs-
relevanten Effekt zeitigt.
139, 2 „l’art pour l’art“] Französisch: „Die Kunst für die Kunst“, „Die Kunst
um der Kunst Willen“. Die ursprünglich von Victor Cousin geprägte Formel
(Cousin 1840, 413) wurde zu N.s Zeit oft als Schlagwort zur Charakterisierung
einer (besonders in Frankreich verbreiteten) Kunst gebraucht, die sich als rei-
nen Selbstzweck betrachtete und jede Form ihrer Instrumentalisierung zurück-
wies. N. ist der darüber geführten Debatte beispielsweise bei der Lektüre von
Paul Bourgets Essais de la Psychologie contemporaine im Zusammenhang mit
Gustave Flaubert begegnet (Bourget 1920, 1, 163 f. Vgl. die in NK KSA 6, 127, 2
mitgeteilten, ausführlichen Quellenauszüge). Der Abscheu vor dem art pour
l’art gehörte damals zum kulturkritisch guten Ton: Wohlbekannt war N. die
Auseinandersetzung mit der Schule des art pour l’art in Victor Hugos Studie
William Shakespeare (Hugo 1864, 240-249), die er 1878 erwarb. Hugo postulier-
te dabei folgenden Gegensatz: „Die Kunst für die Kunst kann schön sein, aber
die Kunst für den Fortschritt ist noch viel schöner.“ (Hugo 1864, 240) In Carl
Bleibtreus Kampfschrift Revolution der Literatur, die N. im Frühjahr 1886 von
Overbeck geschickt bekommen hat (vgl. NK KSA 6, 50, 22-24), klang es noch
polemischer: „Das Feldgeschrei ,L’art pour l’art‘ ist schon deswegen ein Un-
ding, weil es die Form über den Inhalt stellt. Wahre Poesie wird nie aus abs-
trakter Liebe zur Kunst, sondern aus leidenschaftlicher Theilnahme an den
Schmerzen und Freuden der Mitwelt geboren.“ (Bleibtreu 1886a, 13 = Bleibtreu
1886b, 13).
139, 2 „reines willensfreies Erkennen“] Das ist eine Formel aus Schopenhauers
Welt als Wille und Vorstellung (1. Bd., 4. Buch, § 58) und zwar aus dem Bereich
der Poetik: Der Dichter schildere „die Schönheit der Natur, d. h. eigentlich das
reine willensfreie Erkennen, welches freilich auch in der That das einzige reine
Glück ist, dem weder Leiden noch Bedürfniß vorhergeht, noch auch Reue, Lei-
den, Leere, Ueberdruß nothwendig folgt: nur kann dieses Glück nicht das gan-
ze Leben füllen, sondern bloß Augenblicke desselben“ (Schopenhauer 1873-
1874, 2, 378). Vgl. auch NK 134, 31-135, 5.
139, 5 f. Die Krankheit des Willens ist ungleichmässig über Europa verbreitet]
Von Flaubert aus den Blick auf den Zustand der Gegenwart als ganze erhebend,
 
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