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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0606
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586 Jenseits von Gut und Böse

derstands gegen den despotischen Vater erscheint. In den landläufigen deut-
schen Darstellungen zu Friedrichs persönlicher Entwicklung ist dieser Aspekt
nicht prominent, auch nicht in den gängigen Literaturgeschichten (vgl. z. B.
Hettner 1872, 3-33).
141,17 f. sie giebt dem Geiste gefährliche Freiheit, aber sie hält das Herz streng]
Vgl. NK 89, 10-13.
141, 22-28 Dank dem unbezwinglich starken und zähen Manns-Charakter der
grossen deutschen Philologen und Geschichts-Kritiker (welche, richtig angesehn,
allesammt auch Artisten der Zerstörung und Zersetzung waren) stellte sich all-
mählich und trotz aller Romantik in Musik und Philosophie ein neuer Begriff
vom deutschen Geiste fest, in dem der Zug zur männlichen Skepsis entscheidend
hervortrat] JGB 209 präsentiert die historisch-kritischen Leistungen der deut-
schen Historiker und Philologen seit Ende des 18. Jahrhunderts als ein Zerstö-
rungswerk, das Friedrichs Taten auf dem Schlachtfeld mit Feder und Drucker-
presse auf dem Feld des Geistes fortführte (vgl. Benne 2005, 90-92). In NL
1885, KSA 11, 34[221], 496, 10-12 (entspricht KGW IX 1, N VII 1, 29, 28-30) wer-
den Namen genannt für das „Beste, was Deutschland gegeben hat“, die „kri-
tische Zucht“, nämlich Kant, der Altphilologe Friedrich August Wolf (1759-
1824), Lessing sowie der Althistoriker Barthold Georg Niebuhr (1776-1831). Je-
doch figurieren diese kritischen Geister nicht als Skeptiker, sondern unter der
Rubrik „Abwehr des Scepticismus“! Je nach textstrategischen Bedürfnissen ar-
rangierte N. das gesammelte Material also vollkommen neu.
141, 31 f. zu vergeistigten Nordpol-Expeditionen unter öden und gefährlichen
Himmeln] Die extreme Unwirtlichkeit des hohen Nordens eignet sich als Meta-
phernreservoir für die unerbittliche Härte im Umgang mit überlieferten und
liebgewonnenen Vorurteilen. Die in N.s Spätwerk virulente Identifikation mit
dem Volk der im hohen Norden angesiedelten Hyperboreer überhöht diesen
Befund noch mythologisch (vgl. NK KSA 6, 169, 2f. und NK KSA 6, 169, 3-5).
GM III 26, KSA 5, 406, 5-9 attestiert der auf Objektivität bedachten, nihilisti-
schen und asketistischen Geschichtsschreibung: „Man sieht einen traurigen,
harten, aber entschlossenen Blick, — ein Auge, das hinausschaut, wie ein
vereinsamter Nordpolfahrer hinausschaut (vielleicht um nicht hineinzuschau-
en? um nicht zurückzuschauen? ...)“. Nicht „zurückzuschauen“ war für das
innere Gleichgewicht des Nordpolfahrers sicher ein gutes Rezept, denn zu N.s
Lebzeiten vermochte keiner an den Nordpol selbst zu gelangen - erst 1909
sollen Robert Edwin Peary und Matthew Henson den Nordpol erreicht haben.
Die 1870er und 1880er Jahre waren dennoch eine Hochphase der von einer
interessierten Öffentlichkeit atemlos verfolgten Nordpolexpeditionen („Erstes
Internationales Polarjahr“ 1882/83), deren Teilnehmer oft nicht überlebten.
 
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