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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0610
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590 Jenseits von Gut und Böse

nung, welche zur-1 als auf eine ru Alles was-1 rzur'' Reinlichheit und Strenge in
Dingen des Geistes - unter uns reden wir noch ganz anders und mit schlimme-
ren Worten davon—: trotzdem aber würden wir rgehört, möchten wir von Un-
ser-Gleichen anerkannt wissen: trotzdem sind wir keine Kritiker u würden so-
gar meinen,'' der Philosophie keine kleine Schmach anzuthun meinen wenn
wir sagten: »Philosophie ist Wissenschaft und Kritik und nicht mehr/ Freilich
steht heute gerade diese Werthabschätzung in voller Blüthe, bei allen Positi-
visten, Wirklichkeits=Philosophen und »wissenschaftlichen Philosophen4
Deutschlands und Frankreichs; und vielleicht möchte sie auch schon dem Her-
zen und Geschmacke Kant’s geschmeichelt haben rich weiß nicht, ob ich recht
rathe, wenn ich sie auch schon dem großen Kant zuschreibe: - sie sL Diese
Fürsprecher der Kritik und Wissenschaft sind eben Kritiker und wissenschaftli-
che Menschen, aber selber keine Philosophen: auch der große Chinese von
Königsberg war nur ein großer Kritiker.“ Vgl. N.s Diktat in Dns Mp XVI, BL 45r
bei Röllin 2012, 220 f.
Die letzten vier Abschnitte des Sechsten Hauptstücks, JGB 210 bis 213 sol-
len demonstrieren, dass starke Skepsis allenfalls ein, aber nicht der aus-
schließliche Charakterzug „im Bilde der Philosophen der Zukunft“ (142,16) sei.
Diese Philosophen könne man auch als „Kritiker“ (142, 20) bezeichnen, weil
sie im Unterschied zum landläufigen Skeptiker über „die Sicherheit der Werth-
maasse“ (143, If.) verfügten. Indes gilt auch das Etikett „Kritiker“ nur unter
Vorbehalt, denn Philosophie reduziert auf Kritik - womöglich im (neukantia-
nischen Sinn - wäre wiederum eine ungebührliche Verengung und Vereinseiti-
gung dessen, was „unsre neuen Philosophen“ im Sinne haben: „Kritiker sind
Werkzeuge des Philosophen“ (144, 4f.; nach Sommer 2007).
142, 21 f. und sicherlich werden es Menschen der Experimente sein] Schon im
17. Jahrhundert wird Francis Bacon als Erfinder einer „Experimental philoso-
phy“ benannt, die weder rein empiristisch noch rein rationalistisch ausgerich-
tet sein, sondern Vernunft und Experiment verbinden sollte (Kuhlen/Schneider
1972, 871). Der Begriff „Experimental philosophy“ blieb seither für eine Philoso-
phie in Kraft, die ihre Nähe zu den entstehenden modernen Naturwissenschaf-
ten dokumentieren wollte. N.» der den Begriff „Experimental-Philosophie“ nur
in NL 1888, KSA13,16[32], 492, 22 (KGWIX 9, WII7,144,13) verwendete, dürfte
an dieser Assoziation durchaus gelegen gewesen sein, als er „Experimente“
zum Modus künftigen Philosophierens ausrief. Nach dem bisher im Sechsten
Hauptstück Vorgetragenen dürfte das Experimentieren freilich auch dem
künstlerischen Gestalten ähneln, wobei dieses Gestalten nicht nur ein Selbst-
gestalten ist, sondern sich anderer Menschen gewaltsam zu bedienen gedenkt.
Das Experiment als Metapher für philosophische Praktiken, die mit dem natur-
wissenschaftlichen Experiment nicht sonderlich viel zu tun haben, war auch
 
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