602 Jenseits von Gut und Böse
cheren Weissagungen zwingen, zu denen er in der Lage ist (vgl. Homer: Odys-
see IV 349-570). Im zeitgenössischen Schrifttum ist die Identifikation mit Pro-
teus selten als Kompliment gemeint, vgl. z. B. Bahnsen 1882,1, 19: „Wenn aber
überhaupt etwas, so lässt sich dies aus der Geschichte der Philosophie lernen,
dass immer dieselben Probleme wiederkehren, als hätte die ,Proteus‘-Mythe
von ihrer Natur Namen und Ursprung“. Zur Proteus-Metapher vgl. auch NK
168, 21-27 u. NK KSA 6, 22, 34-23, 2.
213.
Nach JGB 213 ist das Philosoph-Sein weder lern- noch lehrbar, vielmehr müsse
man „es »wissen“, aus Erfahrung“ (147, 21 f.). JGB lässt sich insgesamt als ein
Buch verstehen, das eine solche Erfahrung erlebbar werden lässt: Permanente
Herausforderung und Irritation können die Leser dazu anleiten, an sich selbst
diese Erfahrung zu machen. Die Leser, an die sich das mit JGB 213 abgeschlos-
sene Sechste Hauptstück wendet, sind - denn sonst müssten sie JGB nicht le-
sen - noch nicht auf der Stufe der Zukunftsphilosophen angelangt, sondern
stehen wahrscheinlich erst auf der Stufe der Gelehrten und der philosophi-
schen Arbeiter. Diesem Hauptstück kommt also eine selektorische Wirkung zu:
Es sondert jene, die das Potential zum künftigen Philosophendasein haben,
von denen, die es nicht haben - je nachdem, wie der Leser auf den Text, auf
das mit ihm angestellte Experiment reagiert (nach Sommer 2007). Das Ende
von JGB 213 impliziert allerdings keineswegs irgendein Bekenntnis der wahren
Philosophie für eine Ewige Wiederkunft (so die Suggestion bei Lampert 2001,
207).
147, 20-22 Was ein Philosoph ist, das ist deshalb schlecht zu lernen, weil es
nicht zu lehren ist: man muss es „wissen“, aus Erfahrung, — oder man soll den
Stolz haben, es nicht zu wissen.] Die einleitenden Passagen von JGB 213 spie-
len mit der Differenz von apriorischer und empirischer Erkenntnis in der Trans-
zendentalphilosophie: Mit der Negation der Lehr- und Lernbarkeit dessen, was
Philosophie ausmacht, wird im ersten Halbsatz suggeriert, es gebe bei man-
chen Menschen ein apriorisches Wissen davon, was Philosophie ist - eine Sug-
gestion, die gleich der nächste Halbsatz mit dem Hinweis darauf negiert, dass
man dieses Wissen „aus Erfahrung“ gewonnen haben müsse. Die vermeintlich
transzendentalphilosophische Differenz erweist sich bei näherem Hinsehen als
eine charakterologische Differenz: Manche Menschen können davon Erfahrung
machen, die meisten aber nicht - und die Erfahrung scheint (notwendig) eige-
ne Erfahrung zu sein, keine Übernahme von Erfahrungswissen, das andere er-
worben haben. Vgl. NK 147, 23-27.
cheren Weissagungen zwingen, zu denen er in der Lage ist (vgl. Homer: Odys-
see IV 349-570). Im zeitgenössischen Schrifttum ist die Identifikation mit Pro-
teus selten als Kompliment gemeint, vgl. z. B. Bahnsen 1882,1, 19: „Wenn aber
überhaupt etwas, so lässt sich dies aus der Geschichte der Philosophie lernen,
dass immer dieselben Probleme wiederkehren, als hätte die ,Proteus‘-Mythe
von ihrer Natur Namen und Ursprung“. Zur Proteus-Metapher vgl. auch NK
168, 21-27 u. NK KSA 6, 22, 34-23, 2.
213.
Nach JGB 213 ist das Philosoph-Sein weder lern- noch lehrbar, vielmehr müsse
man „es »wissen“, aus Erfahrung“ (147, 21 f.). JGB lässt sich insgesamt als ein
Buch verstehen, das eine solche Erfahrung erlebbar werden lässt: Permanente
Herausforderung und Irritation können die Leser dazu anleiten, an sich selbst
diese Erfahrung zu machen. Die Leser, an die sich das mit JGB 213 abgeschlos-
sene Sechste Hauptstück wendet, sind - denn sonst müssten sie JGB nicht le-
sen - noch nicht auf der Stufe der Zukunftsphilosophen angelangt, sondern
stehen wahrscheinlich erst auf der Stufe der Gelehrten und der philosophi-
schen Arbeiter. Diesem Hauptstück kommt also eine selektorische Wirkung zu:
Es sondert jene, die das Potential zum künftigen Philosophendasein haben,
von denen, die es nicht haben - je nachdem, wie der Leser auf den Text, auf
das mit ihm angestellte Experiment reagiert (nach Sommer 2007). Das Ende
von JGB 213 impliziert allerdings keineswegs irgendein Bekenntnis der wahren
Philosophie für eine Ewige Wiederkunft (so die Suggestion bei Lampert 2001,
207).
147, 20-22 Was ein Philosoph ist, das ist deshalb schlecht zu lernen, weil es
nicht zu lehren ist: man muss es „wissen“, aus Erfahrung, — oder man soll den
Stolz haben, es nicht zu wissen.] Die einleitenden Passagen von JGB 213 spie-
len mit der Differenz von apriorischer und empirischer Erkenntnis in der Trans-
zendentalphilosophie: Mit der Negation der Lehr- und Lernbarkeit dessen, was
Philosophie ausmacht, wird im ersten Halbsatz suggeriert, es gebe bei man-
chen Menschen ein apriorisches Wissen davon, was Philosophie ist - eine Sug-
gestion, die gleich der nächste Halbsatz mit dem Hinweis darauf negiert, dass
man dieses Wissen „aus Erfahrung“ gewonnen haben müsse. Die vermeintlich
transzendentalphilosophische Differenz erweist sich bei näherem Hinsehen als
eine charakterologische Differenz: Manche Menschen können davon Erfahrung
machen, die meisten aber nicht - und die Erfahrung scheint (notwendig) eige-
ne Erfahrung zu sein, keine Übernahme von Erfahrungswissen, das andere er-
worben haben. Vgl. NK 147, 23-27.