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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0623
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Stellenkommentar JGB 213, KSA 5, S. 147-148 603

147, 23-27 Dass aber heutzutage alle Welt von Dingen redet, in Bezug auf wel-
che sie keine Erfahrung haben kann, gilt am meisten und schlimmsten vom
Philosophen und den philosophischen Zuständen: — die Wenigsten kennen sie,
dürfen sie kennen, und alle populären Meinungen über sie sind falsch.] Karl Jas-
pers notierte dazu am Rand: „Denken als philos. Zustand“ (Nietzsche 1923,
164). Auch 147, 23-27 evoziert wie 147, 20-22 transzendentalphilosophische Be-
grifflichkeit: Apriorisches Wissen ist dasjenige, von dem man „keine Erfah-
rung“ haben kann. Namentlich Schopenhauer liebte diese Formulierung: Xe-
nophanes habe „apodiktisch, mithin a priori“ über den „Ursprung der Dinge“
geurteilt, „über welchen er keine Erfahrung haben“ konnte (Schopenhauer
1873-1874, 3, 54); in den Parerga gab er zu bedenken, „daß überhaupt keine
Erfahrung es dem a priori gleichthut“ (ebd., 5, 480), um dann forsch bei der
metaphysischen Grundlage der Moral in den Bereich des Apriori vorzustoßen:
„Den festen Boden der Erfahrung, welcher bis hieher alle unsere Schritte getra-
gen hat, sollen wir also jetzt verlassen, um in dem, wohin keine Erfahrung
auch nur möglicherweise reichen kann, die letzte theoretische Befriedigung zu
suchen“ (Ebd., 4/2, 264). Gegen die transzendentalphilosophische Eingangs-
suggestion lässt JGB 213 nur Erfahrungserkenntnis gelten, und zwar selbstge-
wonnene.
147, 29 welche presto läuft] Vgl. NK 46, 10-20 u. NK 45, 25-31.
147, 29 f. dialektischen Strenge und Nothwendigkeit] Dass JGB 213 hier für die
Denkbewegung des wahren Philosophen auf Dialektik rekurriert, überrascht,
pflegen andere Texte N.s sie doch eher als intellektuellen Taschenspielertrick
zu diskreditieren (vgl. NK 19, 15-17) oder sogar (am Beispiel des Sokrates) als
Versuch des Ohnmächtigen, Macht zu usurpieren (dazu ausführlich NK 6/1,
S. 275-280). Auch die Notwendigkeit ist keine Kategorie, die sich mit perspekti-
vischer Pluralisierung leicht verträgt.
148, 4 f. oft genug als „des Schweisses der Edlen werth“] Das ist ein Vers aus
Friedrich Gottlieb Klopstocks Ode Der Zürchersee von 1750, deren 13. Strophe
in der Fassung von 1771 (Verse 49-52) lautet: „Reizvoll klinget des Ruhms lo-
ckender Silberton / In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit / Ist ein
grosser Gedanke, / Ist des Schweisses der Edlen werth!“ ([Klopstock] 1771,119).
N. besaß weder eine Klopstock-Ausgabe, noch ließ er irgendwo ein besonderes
Interesse an dem empfindsamen Dichter erkennen, der wie er ein Absolvent
Schulpfortas war. Der in 148, 4 f. aufgerufene Vers gehörte zum beliebten Zita-
tenschatz der Gründerzeit, damals (als einer von nur zwei Klopstock-Versen)
wie selbstverständlich auch angeführt in Georg Büchmanns Geflügelten Worten
(Büchmann 1882, 70). N. hat das Zitat also wohl aus zweiter Hand; so konnte er
in August Bebels Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleich
 
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